Titelbild des Hefts Nummer 91
Ich singe aus Angst vor dem Dunkeln ein Lied
Und hoffe, dass nichts geschieht
Heft 91 / Frühjahr 2023
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Versuch unserer Auslöschung

Genderideologen begreifen Transfeindlichkeit als genozidales Verbrechen

Münster am 27. August 2022. Bei strahlendem Sonnenschein wird der Christopher Street Day zelebriert, eine Veranstaltung, die in Studentenhochburgen wie Münster längst nicht mehr kontrovers, sondern ein Event mit Volksfeststimmung ist. Unter den Teilnehmern befindet sich auch ein Transsexueller, der in den Medien überall nur als Malte C., ohne vollen Namen und ohne Gesicht, vorgestellt wurde. Als er bemerkt, dass vom Straßenrand Teilnehmerinnen als „lesbische Huren“ beschimpft werden, mischt er sich ein, geht auf die beiden Verursacher zu und versucht die Situation zu beruhigen. Diese beschimpfen ihn und behaupten, er sei „gar kein richtiger Mann“. Plötzlich schlägt einer der beiden Malte C. ohne Vorwarnung zweimal mit der Faust ins Gesicht. Bewusstlos fällt dieser zu Boden und schlägt mit dem Kopf auf den Asphalt auf. Sechs Tage später stirbt Malte C. an seiner schweren Kopfverletzung.

Bremen am 3. September 2022: Eine 57-jährige Transfrau fährt mit der Straßenbahnlinie 4. Etwa 15 Kinder und Jugendliche im Alter von ca. 10 bis 15 Jahren beschimpfen sie als „Scheiß Transe“. Angefeuert von den anderen, schlägt einer aus der Gruppe ihr mehrfach mit beiden Fäusten ins Gesicht. Die Täter fliehen, die 57-Jährige muss mit einem Nasenbeinbruch ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Stochastischer Terror

Man könnte meinen, dass solche Vorfälle der brutalen Gewalt gegen Transsexuelle genauso behandelt werden wie Übergriffe auf Homosexuelle: Ein wenig pflichtschuldige Empörung hier, ein paar Worte oder Minuten des Gedenkens dort, gefolgt von einem baldigen Übergang zur Tagesordnung und der Warnung, man dürfe aus solchen Taten keine generalisierenden Schlussfolgerungen ziehen. Denn auch wenn die obigen Beschreibungen der Tathergänge wie die ersten Medienberichten ohne jede Angabe zur Herkunft der Täter auskommen, muss von Anfang an jedem klar gewesen sein, was sich später bestätigte: Beim 20-jährigen Schläger von Münster handelte es sich nicht um einen Studenten der Biologie mit Namen Tobias M., sondern um den abgelehnten tschetschenischen Asylbewerber Nureddin A.. Der Überfall in Bremen ging auf das Konto einer Jugendbande, die arabisch und kurdisch gesprochen haben soll, und der später anhand von Videoaufzeichnungen identifizierte Haupttäter ist zum Zeitpunkt der Tat 13 Jahre alt und damit strafunmündig gewesen.

Soweit, so bekannt: in deutschen Großstädten, die wie Münster und Bremen nicht unbedingt zu Hochburgen der rechten Szene zählen, ist es für Homo- und Transsexuelle nicht ungefährlich, sich in der Öffentlichkeit als solche zu erkennen zu geben. Und zumindest unter der Hand weiß auch jeder, von wem die Gefahr ausgeht. Die Reaktionen drehten sich aber, anders als etwa nach den Silvesterkrawallen in Berlin, nicht darum, inwiefern die Sozialisation islamischer Jungs und Jungmänner solche Gewalttaten hervorbringt oder ob die beschönigende Rede von den „kleinen Paschas“ (Friedrich Merz) bereits schwer rassistisch sei. Von Anfang an wurden die Mittäter, Sympathisanten und Hintermänner der Gewaltverbrechen anderswo gesucht – an deutschen Universitäten, in Zeitschriftenredaktionen und im Bundestag: „Vollbrecht, Schwarzer, Weidel, Wagenknecht: Sprachlicher Hass ermutigt Täter wie den, der Malte in Münster totgeschlagen hat. Das müssen wir noch viel deutlicher sagen. Und das muss auch Konsequenzen haben. Wir sind es Malte schuldig.“ Das verkündete, seine Parteigenossin in den Kreis der Mittäter einbeziehend, Frank Laubenburg, „Bundessprecher queer“ der Linkspartei, auf Twitter. Io Görz, Chefredakteur*in von InFranken.de, sah „stochastischen Terror“ am Werk: Die Tat von Münster zeige „auf erschreckende Art und Weise, welche Früchte Hass, Hetze und Desinformation tragen. Zugeschlagen hat ein einzelner Täter, Mitschuld am Tod des mutigen jungen Mannes tragen aber noch mehr Menschen.“ Als einzigen Beleg dafür, wie Angst geschürt und „Trans Personen […] als Gefahr dargestellt werden“, führt Görz einen Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität Berlin an. In solchen Veranstaltungen, so Görz weiter, werde eine Atmosphäre erzeugt, „die bei manchen Menschen verfängt und diese vielleicht nicht direkt ermutigt, aber die Hemmschwelle zu Gewalt sinken lässt, weil sie sich im Recht fühlen, weil sie sich bestätigt fühlen. So etwas nennt man ‚stochastischen Terror‘: Eine Aussage muss nicht direkt an jemanden gerichtet sein, findet aber ihren Adressaten und kann dann natürlich nicht als Ursache identifiziert werden.“ (1)

Emmas Schlachtruf

Die naheliegende Frage, wie ein Vortrag über die Biologie der Geschlechter an einer deutschen Universität seinen Weg zu 13-jährigen Straßenkindern finden und bei diesen verfangen soll, die – zumindest wenn sie gerade Lust haben – vermutlich eine der heruntergekommenen Bremer Gesamtschulen von Kattenturm bis Gröpelingen besuchen, in denen man nicht einmal den Dreisatz, geschweige denn richtig Deutsch lernt, ist im „queeren“ Diskurs selbstverständlich tabu. Die Siegessäule, „Berlins auflagenstärkstes Stadtmagazin“, in den 1980ern als „Monatsblatt für Schwule“ gegründet, in den 1990ern „um lesbische Themen erweitert“ und seit 2005 „an eine queere Zielgruppe“ gerichtet, konnte da als „das einzige Magazin dieser Größenordnung in Europa, das sich an die gesamte Bandbreite der LGBT-Community richtet“ (alle Zitate nach Wikipedia), natürlich nicht nachstehen. In der Oktoberausgabe kommentierte eine Nora Eckert, „Autorin und Vorständin bei TransInterQueer e.V.“, die Gewalttaten so: „Ja, wir sind sichtbarer geworden […]. Doch diese Sichtbarkeit macht uns angreifbarer, macht uns zu beweglichen Zielen für Aggressionen, wie man uns gerade auf erschreckende Weise zu verstehen gab. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Schuld bei den Tätern liegt und auch bei solchen, die für ein gewaltbereites Klima die verbale Munition liefern.“ (2) Natürlich kommt auch Eckert im nächsten Satz nicht auf die zahlreichen Moscheen in Berlin und anderswo zu sprechen, in denen darüber sinniert wird, „ob nur passive oder auch aktive Homosexuelle den Tod verdienten“. Obwohl jeder weiß, dass Gegenden wie Neukölln seit Jahren ein für Schwule wie Transgender lebensgefährliches Pflaster sind und von wem die Beleidigungen, Steinwürfe und Messerattacken stets ausgehen (3), hat man bei der Siegessäule andere im Visier: „Da reicht schon eine als Biologienachhilfe getarnte Häme, denn das Gerede vom biologischen Geschlecht ist in Wahrheit kein Debattenbeitrag, sondern ein Schlachtruf, dass es uns eigentlich nicht gibt. […] Die Grünen-Politikerin Tessa Ganserer hat es auf den Punkt gebracht: ‚Der Hass, der im Netz gesät wird, entlädt sich auf der Straße in realer Gewalt.‘ […] Was Emma, AfD und Co. mit Worten erledigen, erledigt auf der Straße die toxische Männlichkeit, denn die Täter sind stets cis Heteros. Und können, wie wir aus Bremen jetzt erfahren, auch schon 12-Jährige sein, die für ihre Respektlosigkeit die Fäuste gebrauchen, während andere sie vom Schreibtisch und vom Rednerpult aus praktizieren.“ All das fällt für Eckert ausnahmslos und gleichermaßen unter „Transfeindlichkeit“, die keine „Meinung, sondern der Versuch unserer Auslöschung“ sei. (4)

Folgt man diesen Worten, so kann man ausschließen, dass es Transaktivisten überhaupt um die Verhinderung von Gewalt gegen Transsexuelle und Transgender geht. Denn sonst müssten sie sich mit den einschlägigen Gründen, mit den tatsächlichen Gewalttätern und deren Motiven befassen und nicht jeden Widerspruch, jeden Einwand und jede Kritik als Beihilfe zum Massenmord denunzieren. Ein Weltbild, in dem die Schriften der Emma auf den Straßen von Münster durch die toxische Männlichkeit eines tschetschenischen Totschlägers vollstreckt werden, wie es fast wortwörtlich in der Siegessäule steht, kann nicht bloß dadurch erklärt werden, dass hier eine Verdrängung unangenehmer Wahrheiten über homo- und transfeindliche Gewalt erfolgt. Vielmehr sind den Transaktivisten, die sich permanent auf Twitter tummeln, reale Gewalttaten mit echten Opfern bloß willkommenes Material, das sie genussvoll und im wahrsten Sinne des Wortes als Totschlagargument zur Abdichtung gegen jede Kritik verwenden. Man kann es noch weiter generalisieren: Nicht nur geht es bei den Debatten nicht um Gewalt, sondern es geht eigentlich überhaupt nicht um Transgender und nicht um das Leid von Betroffenen, die kaum zu Wort kommen, wenn sie sich nicht ständig als Sprachrohre bewähren. Das Thema ist aktuell die Hauptspielwiese der Identitätspolitik, auf der aufrechte Kämpfer für die gute Sache wie der ZDF-Aktivist Jan Böhmermann ihre woke Gesinnung zur Schau stellen können.

Mehrdimensionale Geschlechtsidentität

Die ZDF Magazin Royal-Sendung vom zweiten Dezember letzten Jahres mit dem Titel „Transfeindlichkeit ist Trend“ (5) griff das Thema dankbar auf und versuchte es mit einer Erklärung für ganz Doofe: Wenn inzwischen jeder wisse, was sexuelle Orientierung sei, also auf welches Geschlecht man „stehe“, so müsse doch auch jeder begreifen können, wovon die „Geschlechtsidentität“ handle, nämlich als was eine Person sich selbst verstehe, als Frau, als Mann, als „dazwischen (non-binary)“ oder „keins von beidem (agender)“. Das Problem entstehe nun, erklärt uns Jan Böhmermann-Butler, „wenn Ärztinnen oder Geburtshelfer einfach mal so Pi mal Daumen ein Geschlecht in die Geburtsurkunde eintragen, mit dem sich die Person, die es betrifft, aber nicht identifiziert: Dann spricht man von einer Transperson.“ Also sei das doch alles ganz einfach. Während in Deutschland inzwischen Politik- und Nachrichtensendungen meist nur noch unfreiwillig komisch wirken, werden die wirklichen Mitteilungen, was und woran man zu glauben hat, heute in solchen unter Humor oder Kabarett firmierenden Sendungen verhandelt, in denen zum Publikum gesprochen wird, als bestünde es aus begriffsstutzigen Volksschülern, wobei der Witz paradoxerweise immer nur darin besteht, die noch nicht Eingeweihten ob ihrer vermeintlichen Dummheit schenkelklopfend der Lächerlichkeit preis zu geben. Die Definitionen, die Böhmermann als ganz simpel und allseits verständlich verhandelt, ergeben allerdings nur dann einen Sinn, wenn die Grundsätze der Identitätspolitik bereits verinnerlicht sind, was er bei der Mehrheit seines Publikums, welches vorab das Einverständnis noch zum schäbigsten Kalauer bereitwillig erteilt, zu Recht annehmen kann. Dass die Forderung nach einer Einheit des Geschlechts mit dem empfundenen Triebleben der eigenen Geschlechtsidentität ein einziges Elend ist, weil es „statt um die Suche nach der Ursache eines individuellen Leidens um geschlechtliche und andere Gewissheiten geht“ (6), muss an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.

Denn auch in der Böhmermann-Sendung ist sofort ersichtlich, dass es nicht um das Leid von Transsexuellen und Transgender geht, die eben nicht einfach so per Identifizierung oder Sprechakt ihre Konflikte problemfrei auflösen können. Worum es stattdessen geht, wird nebenbei in einem vermeintlichen Witz erwähnt: „Es gibt nun mal Menschen, die eine mehrdimensionalere Geschlechtsidentität haben als, keine Ahnung, der Sänger von Freiwild zum Beispiel.“

TERFs und Turds

Angesprochen ist also nicht eine gesellschaftlich wenig relevante Minderheit, sondern die breite Masse der Böhmermann-Zuschauer, die aus Jahrhunderten der Zivilisation und der Emanzipation der Frau immerhin gelernt hat, dass das Männlichkeitsbild, das rechtslastige Deutschrock-Musiker wie Freiwild oder der „lustigerweise“ stattdessen eingeblendete Austro-Schlagerbarde Andreas Gabalier inszenieren, heute gerade dann nicht mehr gefragt ist, wenn man nicht als hoffnungslos rückständig gelten will und sich nicht schon vorab etwa für eine Position bereits auf der mittleren Führungsebene einer Kleinstadtverwaltung disqualifizieren möchte.

Wie vorher Rasse und sexuelle Orientierung erreichte die Identitätspolitik das Geschlecht vollends erst dann, als die bestehenden Ungleichheiten zumindest gesetzlich verschwunden waren sowie im Alltag und vor allem in der Lebensgestaltung des Einzelnen eine geringere Rolle zu spielen begannen. Vor diesem Hintergrund mutet es seltsam an, dass die sich radikal-feministisch verstehende Kritik an einer Transideologie, die jedem die Identifikation mit „seinem“ je individuellen Geschlecht, das auch nicht-binär oder agender sein kann, aber stets ein Bekenntnis zu „seiner“ Geschlechteridentität beinhaltet, ausgerechnet das Verschwinden der Kategorie Frau beklagt und damit offenbart, dass sie selbst nur selten mehr war als (weibliche) Identitätspolitik. Dass zentrale Dogmen der Identitätspolitik in der Kritik gar nicht infrage gestellt werden, hindert eifrige Twitteraktivisten und ihren Vorturner im ZDF allerdings nicht daran, Jagd auf TERFs (trans-exclusionary radical feminists, Transmenschen ausschließende Radikalfeminist*innen) zu machen, die laut Böhmermann nichts weiter als „turds“ (Scheißhaufen) sind. Als solche firmieren im Magazin Royale Alice Schwarzer, die dasselbe sage wie Beatrix von Storch von der AfD, und die fortwährend als „Meereselektrikerin“ bezeichnete Marie-Luise Vollbrecht, die an der Humboldt-Universität über die „Folgen von Sauerstoffmangel […] bei schwach elektrischen Fischen“ (Wikipedia) promoviert.

Frank Laubenburg, Io Görz, Nora Eckert und Jan Böhmermann sind sich einig: Die Hintermänner transfeindlicher Gewalt sind in erster Linie Hinterfrauen, die Kritik an der Transideologie und dem darauf basierenden „Selbstbestimmungsgesetz“ der Bundesregierung üben, demzufolge es jedem selbst überlassen bleiben soll, seinen Geschlechtseintrag zu bestimmen. Nun ist der Wille von Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern zu lassen, überhaupt nichts Neues und die Möglichkeit, dies zu erleichtern, wird von den meisten Angesprochenen, etwa Alice Schwarzer, nicht nur nicht infrage gestellt, sondern seit langem gefordert. Der Streit um die gesetzliche Ausgestaltung erklärt auch hier keineswegs die Heftigkeit, mit der der Streit geführt wird. Die Bedenken gegen voreilige, geschlechtsangleichende „Therapien“ an Jugendlichen mit Pubertätsblockern bis hin zu Operationen haben inzwischen etwa zur Schließung der Abteilung Gender Identity Development Service an der Tavistock-Klinik in Großbritannien geführt. Man muss also auch hier unterstellen, dass der Kern des Streits mit den betroffenen Transpersonen nichts bis wenig zu tun hat.

Was ist eine Frau?

In einer Sendung wie dem Magazin Royale taugt das Männerbild, wie es von Freiwild oder migrantischen Gangster-Rappern (7) zur öffentlichen Aufführung gebracht wird, selbst wenn es immer wieder als Ausweis allgemein grassierender „toxischer Männlichkeit“ herhalten muss, höchstens noch als Material für allgemeine Belustigung. Was vom modernen, studierten Mann unter 50 Jahren erwartet wird, ist hingegen längst geklärt. Er soll offener und kommunikativer sein, weniger egoistisch und kompetitiv, sich in Haushalt und Familie stärker einbringen, Vätermonate nehmen, sich das schreiende Baby vor den Bauch schnallen und um den Block tragen, damit Mutti auch mal schlafen kann, nicht zu viel Muskeln und Testosteron haben, sondern eher Ausdauersport betreiben, seine Schwächen und Verletzlichkeiten zugeben und natürlich Jan Böhmermann lauschen sowie idealerweise Die Grünen wählen. Männer, die sich diesem Anforderungsprofil, an dem nicht alles verkehrt ist, mühelos anpassen, begegnen einem jeden Tag. Ein vergleichbar simples Profil für die moderne Frau und was von ihr erwartet wird, existiert hingegen nicht. Es ist kaum vorstellbar, dass in einer Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ein Moderator den Witz machte, dass ‚es Menschen mit einer mehrdimensionaleren Geschlechtsidentität gibt als Helene Fischer zum Beispiel‘. Man findet allenfalls frauenfeindlich anmutende Aussagen wie in einem Artikel der Welt (8) oder einem Tweet der ZDF-Moderatorin Maja Weber, der von der Zeitschrift Emma verteidigt wurde: Während der Springer-Artikel die Outfits der Sängerin im klassischen Sound des Sexismus als „nuttig“ bezeichnete, lautete derselbe Vorwurf auf feministisch, Fischer stelle mit ihrer „Latex-Leder-Mesh-Mode der Reeperbahn […] die Käuflichkeit von Frauen dar“. (9)

Die Verwirrung darüber, was Weiblichkeit überhaupt noch sein soll, hat der christlich-konservative Journalist Matt Walsh in einem Mitte 2022 veröffentlichten „Dokumentarfilm“ für die amerikanische Online-Plattform Daily Wire mit dem Titel What is a woman? zu zeigen versucht. Darin konfrontiert er seine Gesprächspartner, ganz überwiegend Anhänger der Gender-Ideologie, mit der scheinbar simplen Frage, was eine Frau sei. Die Methodik des Vorführens, des Zusammenschneidens und des Belustigens erinnert dabei stark an pseudo-dokumentarische Formate wie die Michael Moores und macht den propagandistischen Zweck der Veranstaltung deutlich. Denn auch wenn Walsh zu beweisen versucht hat, dass es die Genderideologie ist, die keinen Begriff von Weiblichkeit mehr habe, so zeigt er doch unfreiwillig, dass das Problem deutlich tiefer geht. Wenn er am Ende seine Frau, treusorgende Mutter von sechs gemeinsamen Kindern, in der Küche stehend die Antwort geben lässt: „Eine Frau ist ein erwachsener Mensch weiblichen Geschlechts, der Hilfe beim Öffnen dieses Glases braucht“, dann wirkt das nicht weniger komisch als die Einlassungen der krudesten Figur des Films, Dr. Patrick Grzanka, Professor der Psychologie und Leiter des interdisziplinären Programms für Frauen, Gender und Sexualität an der University of Tennessee in Knoxville. Die Idee, die Antwort auf die berechtigte Frage, was eine Frau in der modernen Gesellschaft überhaupt sein soll und was von ihr erwartet wird, ausgerechnet im biologischen Geschlecht zu suchen, am besten noch angereichert mit etwas vulgärer Evolutionspsychologie, ist schlicht absurd.

Transformation der menschlichen Natur

Dabei gilt das keineswegs für die Biologie per se, die historisch nach der Astronomie dem alten Weltbild der feudalistischen Ordnung den zweiten Schlag versetzte, von dem sie sich, allen Restaurationsversuchen zum Trotz, nicht mehr zu erholen vermochte. Die Darwinsche Revolution erledigte den Dualismus von Essentialismus und Teleologie in der Erklärung des Lebens und schuf damit „die naturhistorische Grundlage für unsere Ansicht“. (10) Materialismus geht davon aus, dass nicht nur die Menschheit, sondern auch die Natur eine Geschichte hat, dass beide untrennbar verbunden sind und gerade die Natur, anders als nicht nur Ökologie- und Umweltideologen es wollen, keineswegs ein ewiger Kreislauf, sondern, wie der Mensch selbst, das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses über Millionen von Jahren ist. Materialismus und in seiner Folge der Marxismus ist immer dort zielsicher in Ideologie umgeschlagen, wo er, statt die Verhältnisse zu ändern, damit der Mensch ein besseres Leben haben kann, den „neuen Menschen“ erschaffen wollte, damit dieser die besseren Verhältnisse dann hervorbringe.

Im Wege der postmodernen Umerziehungsversuchs des Menschen kehrt die überwunden geglaubte Teleologie zurück und mit ihm der Rückgriff auf den Essentialismus, den Hannah Arendt dem Telos des Totalitären entgegensetzen wollte und damit ihrerseits die Verteidigung des kontingenten Individuellen verfehlte: „Das eigentliche Ziel der totalitären Ideologie ist nicht die Umformung der äußeren Bedingungen menschlicher Existenz und nicht die revolutionäre Neuordnung der gesellschaftlichen Ordnung, sondern die Transformation der menschlichen Natur selbst, die, so wie sie ist, sich dauernd dem totalitären Prozess entgegenstellt.“ (11) Es ist eben nicht die menschliche Natur, die sich dem totalitären Prozess entgegenstellt, es ist nicht die biologische Tatsache eines existierenden Geschlechts, das die Genderideologie zum Scheitern verurteilt, es ist das Triebwesen Mensch, dass sich nicht in reine Ideologie aufzulösen vermag. Die bloße menschliche Natur, die es mal zu verteidigen und mal zu kritisieren gilt, existiert endgültig unter kapitaler Vergesellschaftung nicht mehr in einfach erfassbarer stofflicher Gestalt, sie lässt sich nur noch in der dialektischen Erkenntnisform des Verhältnisses von erster und zweiter Natur überhaupt annähernd begreifen.

Marie leugnet NS-Verbrechen

Dass stattdessen auf der totalen Gestalt- und Transformierbarkeit menschlicher Natur bestanden wird, Selbstidentifikation und -erklärung das Geschlecht (und eben nicht bloß das Gender) bestimmen sollen, die Sprache rücksichtslos mit Sternen und anderen ungrammatischen Elementen zu versehen ist, weist die Genderideologie in der Tat als totalitär aus. Die oben beschriebene Hetzjagd auf Abweichler, die sich dem Prozess der Umgestaltung entgegenstellen und umstandslos nicht nur mit der Brutalität moslemisch sozialisierter Schläger, sondern auch mit dem Nationalsozialismus in eins gesetzt werden, ist die logische Konsequenz. Die auf Twitter als Aktivistin umtriebige Biologin Marie-Luise Vollbrecht, bei der vom revolutionären Geist Darwins wenig geblieben ist und deren Kritik an der Transideologie sich im Sinne Matt Walshs in dem Satz „Es gibt nur zwei Geschlechter, Frauen sind weibliche Menschen und weibliche Menschen haben niemals einen Penis“ zusammenfassen lässt, musste sich kürzlich auch gerichtlich bestätigen lassen, eine Leugnerin nicht etwa nur der Mehr- und Transgeschlechtlichkeit, sondern auch von NS-Verbrechen zu sein. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und damit zur medialen Zielscheibe unter anderem von Io Görz, Nora Eckert und Jan Böhmermann wurde sie, als eine Veranstaltung mit ihr im Rahmen der Berliner „Langen Nacht der Wissenschaften“ aufgrund von „Sicherheitsbedenken“ kurzfristig abgesagt und wenig später in anderem Rahmen nachgeholt worden war. Die Veranstaltung, die an der Humboldt-Uni stattfinden sollte, trug den Titel „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht – Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“. In einer der sich anschließenden Diskussionen auf Twitter hatte Vollbrecht auf die Behauptung, die Kritik an Teilen der Genderideologie setze die Verfolgung von Transpersonen im Nationalsozialismus fort, wie folgt geantwortet: „Ich hasse dieses Narrativ. Es verspottet die wahren Opfer der NS Verbrechen.“ Dieser Tweet kann nach einer Entscheidung des Landgerichts Köln „als Leugnen von NS-Verbrechen gewertet werden“. Insofern darf die „Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) […] weiterhin verbreiten: #MarieLeugnetNS-Verbrechen. (Aktenzeichen 28 O 252/22).“ (12)

Bei der Leugnung von Verbrechen der Nationalsozialisten handelt es sich in Deutschland nach § 130 Abs 3 StGB um eine Straftat, wenn eine bestimmte Qualifizierung erfüllt ist: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.“ Diese umgangssprachlich als Holocaustleugnung bekannte Rechtsnorm bezieht sich auf § 6 Völkerstrafgesetzbuch, der den Völkermord bzw. Genozid behandelt und wesentlich auf den Juristen Raphael Lemkin zurückgeht. Nun könnte man sagen, dass Frau Vollbrecht keineswegs eine Straftat vorgeworfen wird, wenn man sie dergestalt der Leugnung von NS-Verbrechen bezichtigt. Vergegenwärtigt man sich jedoch, wie mit dem Begriff operiert wird, lässt sich die Causa keineswegs mehr so deuten. Eine NGO, die sich „Lemkin Institute for Genocide Prevention“ nennt, wirft der „genderkritischen“ Bewegung vor, „genozidal“ zu sein, da sie „weltweit eine vollständige Auslöschung der Transidentität“ betreibe. (13) Nun kann man bei dieser unbedeutenden NGO die Frage stellen, wofür sie überhaupt stehen soll, doch bringt sie in ihrer Erklärung genau das zum Ausdruck, worauf die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität mit dem Hashtag #MarieLeugnetNS-Verbrechen zielt und worauf auch Nora Eckert im Namen von TransInterQueer e.V. hinaus will, wenn sie in der Siegessäule, ebenfalls in Richtung Marie-Luise Vollbrechts, behauptet, dass „Transfeindlichkeit […] keine Meinung, sondern der Versuch unserer Auslöschung“ sei. Es wäre ein grobes Missverständnis zu meinen, das Landgericht Köln hätte in seinem Urteil über die Zulässigkeit, Vollbrecht eine Leugnerin von NS-Verbrechen zu nennen, zugunsten der Redefreiheit geurteilt und die im politischen Streit grundsätzlich richtige Feststellung verteidigt, dass auch „einprägsame und starke Formulierungen“ ebenso zulässig sein müssen wie „Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind“. (14) Vielmehr hat das Kölner Landgericht ein Fehlurteil gesprochen, das zulässt, Frau Vollbrecht zu diffamieren und eindeutig in die Nähe der Holocaustleugnung nach § 130 Abs. 3 StGB zu rücken – ein Fehlurteil, das juristisch und historisch auf wackligen, gesinnungsethisch dafür aber auf umso festeren Füssen steht.

Intersektionalität im NS

Vergegenwärtigt man sich den spärlichen Forschungsstand (15) und die wenigen instruktiven Auseinandersetzungen mit dem Thema (16), dann zeigt sich, dass es nicht haltbar ist, von transsexuellen Menschen als Opfer des Nationalsozialismus in der Weise zu reden wie bei Schwulen oder „Asozialen“ und erst Recht nicht wie von politisch Verfolgten wie Kommunisten, Sozial- und sonstigen Demokraten. Aufgrund der geringen Zahl aktenkundiger Fälle aus der NS-Zeit ist die Forschung auf die Untersuchung weniger Dokumente angewiesen, zudem lässt sie sich von der Forschung über Homosexualität im NS nur bedingt trennen. „In sexualpathologischer Tradition des 19. Jahrhunderts (konträre Sexualempfindung) standen männliche und weibliche Transvestiten unter generellem Homosexualitätsverdacht. Medizinisch galt das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts als Symptom, kriminalistisch als Indiz für Homosexualität. […] Diese auch in der allgemeinen Öffentlichkeit verbreitete Zuschreibung der Homosexualität dürfte dazu beigetragen haben, dass es Transvestiten nach 1933 weitgehend vermieden, ihre Neigung in der Öffentlichkeit auszuleben. Sie versuchten offenbar, sich vor Denunziationen, polizeilichen Festnahmen, gerichtlichen Anklagen und Verurteilungen zu schützen. […] Die Transvestitenscheinregelung gestaltete sich in der NS-Zeit sehr uneinheitlich. Einigen Transvestitinnen und Transvestiten wurden diese Bewilligungen entzogen. Anderen, die bereits in der Weimarer Zeit solche Bescheinigungen ausgestellt bekamen, wurden sie nach einem restriktiven Verfahren verlängert, wieder anderen sogar neue ausgestellt. Auch Genehmigungen von Vornamensänderungen liegen vor. Die zeitlich begrenzt erteilten Bewilligungen beschränken sich auf die Jahre zwischen 1933 und 1938. Die strenge Überwachung der Einhaltung solcher Zugeständnisse oblag der Polizei. […] In medizinischen Veröffentlichungen konnten insgesamt drei angestrebte und in zwei Fällen auch realisierte operative Geschlechtsumwandlungen von Mann zur Frau mit nachfolgender Erteilung des Transvestitenscheins und der Vornamensänderung nachgewiesen werden, die während der NS-Herrschaft erfolgt waren. Entsprechende genitalchirurgische Umwandlungen von Frau zu Mann sind nicht bekannt.“ (17) So sei zu konstatieren, dass nach „der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 hinsichtlich der Behandlung weiblicher ‚Transvestiten‘ […] offenbar kein Paradigmenwechsel stattfand, sondern diese vielmehr auf die einschlägige, noch auf die Endphase des Deutschen Kaiserreichs zurückgehende Praxis der Weimarer Republik aufbauten“. (18)

Wenn landgerichtlich beglaubigt behauptet werden kann, dass die Infragestellung einer systematischen Verfolgung von Transsexuellen in dieselbe Kategorie gehöre wie die Holocaustleugnung, dann muss man nach den politischen Gründen und dem Klima in der veröffentlichten Meinung fragen, das dergleichen ermöglicht. In der Gedenkstunde des Deutschen Bundestags am 27. Januar 2023, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, wurde „erstmals an NS-Opfer erinnert, die aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität verfolgt oder ermordet wurden.“ (Wikipedia) Dabei wurde in einem Redebeitrag der Schauspielerin Maren Kroymann als „queeres“ bzw. „lesbisches“ Opfer des Nationalsozialismus die Jüdin Mary Pünjer präsentiert. Da der historische Befund uneindeutig ist, die Nazis sie mal als „Asoziale“ oder „verheiratete Jüdin und aktive Lesbe“ bezeichneten, ihr nichtjüdischer Ehemann als „jüdisch versippt“ aus der Wehrmacht entlassen worden war, bevor Mary Pünjer am 28. Mai 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet wurde, und die historische Forschung eher zu dem Schluss kommt, dass als lesbisch bezeichnete Frauen ermordet wurden, weil sie jüdisch waren, ihre Mutter und ihre Schwester ebenfalls als Juden umgebracht wurden, muss der Fall erheblich hingebogen werden, um daraus einen typischen Fall der Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung zu machen. Im deutschen Bundestag ging das so: „In einigen Fällen wurden lesbische Frauen gleichermaßen als ,asozial‘ eingestuft. Diese Einstufung traf auch Mary Pünjer. Aber hatte sie wirklich Kontakte mit lesbischen Frauen? Und war ihre Ehe nur eine Scheinehe, um sie als Jüdin und Lesbe doppelt zu schützen? Oder war eine Denunziation der Auslöser für ihre Verhaftung? Hatte sie wirklich ‚lesbische Lokale‘ in Hamburg ‚fortgesetzt aufgesucht‘ und dort ‚Zärtlichkeiten ausgetauscht‘? Damit begründete später der KZ-Arzt Friedrich Mennecke in Ravensbrück seine Selektion. Zusammen mit rund 1.600 anderen Frauen schickte er Mary Pünjer, vermutlich zwischen Februar und April 1942, in die sogenannte Heil- und Pflegeanstalt Bernburg – mit dem Ziel der Ermordung durch Vergasen.“ (19) So wird aus einer ermordeten Jüdin flugs eine intersektional „als Jüdin und Lesbe“ doppelt Verfolgte, worin natürlich niemand eine Relativierung des Holocausts erkennen kann.

Toxische Weiblichkeit

Die Transideologie benötigt zu ihrer Rechtfertigung offenbar dringend die Gleichsetzung von Transfeindlichkeit mit Genozid und Holocaust, wie man es aus dem Postkolonialismus und der „Kritischen Rassentheorie“ kennt. Die Assoziation dient zudem dem Verschweigen der Tatsache, von wem die Gewalt gegen „LGBTQ*“ größtenteils ausgeht, wenn diese dem politischen Gegner in die Schuhe geschoben werden und in intersektionaler Tradition vom Islam eisern geschwiegen werden kann. Ayaan Hirsi Ali lässt dies zu dem Schluss kommen, dass das Paradox des Jahres 2022 darin bestand, dass „dort, wo die weibliche Emanzipation am weitesten fortgeschritten ist, die Existenz der Frau in Frage gestellt wird, während dort, wo Frauen an mittelalterliche Vorstellungen von Ehre und Keuschheit gefesselt bleiben, der wahre Feminismus am stärksten ist.“ (20) Das ist nur zur Hälfte richtig: Als Feminismus gilt inzwischen, ausweislich einer staatlich finanzierten „Meldestelle Antifeminismus“ (wer eine „Meldestelle“ für politische Gegner einrichtet und nichts merkt, der merkt nichts mehr) der Amadeu Antonio Stiftung, Aussagen gegen die „Gender-Ideologie“ zu sammeln – was man als Beleg dafür werten sollte, dass der Feminismus in Deutschland endgültig am Ende ist, während er im Iran seine ursprüngliche Bedeutung zeitigt. Die hiesige Bankrotterklärung des Feminismus jedoch derart zu interpretieren, dass im Westen „die Existenz der Frau in Frage gestellt“ werde, etwa wenn aufgrund „genderinklusiver“ Sprachverhunzung Worte wie Frauen, Damen, Mädchen usw. zunehmend wegfallen, bedient sich letztlich derselben unseligen identitären Genozid-Logik wie die Gegenseite. Tatsächlich ist das, was als „Verschwinden“, um nicht zu sagen „Auslöschung“ der Frau gefasst wird, Ausweis einer zumindest teilweise gelungenen Emanzipation, die bewirkt, dass Frauen immer seltener als das andere Geschlecht „gelesen“ werden. Dass der Feminismus im Iran zentral bleibt und im Westen nur noch in Schwundstufen vorhanden ist, hängt mit der unterschiedlichen Lage der Frauen zusammen, deren Existenz als unabhängige, sexuell selbstbestimmte zwar dort, hier aber sehr weitgehend nicht mehr infrage gestellt wird. Weil auch Annalena Baerbocks feministische Außenpolitik diesen Unterschied nicht erkennen will, hält sich die Solidarität mit dem Kampf der iranischen Frauen wie von selbst in Grenzen. Die Schwierigkeit, heute eine schlüssige Definition zu fassen, was eine Frau überhaupt sein soll, ist eng mit der Tatsache verbunden, dass im Westen der erste Schritt zur Befreiung der Frau als Vorstufe zur Befreiung der Menschheit (und nicht etwa andersherum, wie es die Rede vom Nebenwiderspruch immer suggerierte) im Großen und Ganzen bereits gemacht wurde. Wer in Reaktion auf eine völlig entgrenzte Genderideologie auf biologischen Essentialismus und weibliche Identitätspolitik regrediert, wird nicht nur deshalb zu Unrecht als auf Auslöschung zielender TERF geschmäht, weil der Vorwurf der Exkludierung von Transpersonen denunziatorischer, meist ziemlich misogyner Unsinn ist. Sondern auch deshalb, weil am Rekurrieren auf identitär-essentielle Weiblichkeit nichts radikal ist, es immer schon den Blick darauf verstellt hat, dass vermeintlich weibliche Sanftheit und Sensibilität nur die Kehrseite männlicher Härte und Gefühllosigkeit sind. Dieser Feminismus klammert sich gerade deswegen ans Patriarchat, weil seine Denkweise diesem vollständig verhaftet bleibt. Innerhalb des essentiell-identitären Denkens aber ist keine Befreiung vom Zwang, eine Frau sein zu müssen, mehr möglich, sondern bloß seine Verkehrung ins Affirmative. Insofern wäre zu fragen, ob das, was etwa eine Alice Schwarzer angesichts eines brutalen Angriffskriegs und in Abgrenzung von Baerbock ihrerseits als radikal-feministische Außenpolitik begreift, also Pazifismus, „mehr Menschlichkeit“ und Dialog bis zum Umfallen, nicht als unbedingt zu überwindende „toxische Weiblichkeit“ zu fassen wäre.

Martin Stobbe (Bahamas 91 / 2023)

Anmerkungen:

  1. Tödlicher Angriff bei CSD: An euren Händen klebt Blut, InFranken.de, 6.9.2022
  2. Schmerzhaft, Siegessäule, Oktober 2022
  3. Schwulenhass, Islamismus und linke Realitätsverweigerung in Berlin-Neukölln. NZZ, 19.11.2020
  4. Schmerzhaft a.a.O., Hvh. von mir
  5. www.youtube.com/watch?v=rh7hH-ua8oI
  6. Tjark Kunstreich: Biogeschlecht und Sozialcharakter, in: Bahamas Nr. 89, 66–69
  7. vgl. den Böhmermann-Song „Ich hab Polizei“
  8. Man könnte es nuttig nennen, welt.de, 15.7.2018. Nach Protesten wurde der Titel des Artikels zu „Schon nach drei Minuten rieselten Konfetti vom Himmel“ geändert.
  9. www.facebook.com/emma.magazin/photos/a. 282056721823353/2880597991969200
  10. Brief Marx an Engels, MEW 30, 131
  11. Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, 1986, 553, Hvh. von mir
  12. Vollbrecht-Tweet darf als Leugnung von NS-Verbrechen bezeichnet werden, Spiegel online, 11.11.2022
  13. Statement on the Genocidal Nature of the Gender Critical Movement’s Ideology and Practice, lemkininstitute.com
  14. Landgericht Köln, zit. nach Der Spiegel, a.a.O.
  15. Rainer Herrn konstatiert in seinem Beitrag „In der heutigen Staatsführung kann es nicht angehen, dass sich Männer in Frauenkleidung frei auf der Straße bewegen“, über den Forschungsstand zum Transvestitismus in der NS-Zeit, der im Sammelband Homosexuelle im Nationalsozialismus, 2018, erschienen ist, heißt es gleich zu Beginn, dass „zum Schicksal von Transvestitinnen und Transvestiten, aber auch zu Intersexuellen in der NS-Zeit bisher keine systematischen Untersuchungen“ vorlägen, bevor eine erste Sichtung von 80 Fällen, davon 75 Männer, vorgenommen wird.
  16. Siehe etwa den sehr lesenswerten Aufsatz von Ilse Reiter-Zatloukal: Geschlechtswechsel unter der NSHerrschaft. „Transvestitismus“, Namensänderung und Personenstandskorrektur in der „Ostmark“ am Beispiel der Fälle Mathilde/Mathias Robert S. und Emma/Emil Rudolf K., Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs, 2014
  17. Reiner Herrn, a.a.O.
  18. Ilse Reiter-Zatloukal a.a.O.
  19. www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/ 2023/kw04-gedenkstunde-redebeitrag-puenj er-931390
  20. The year the West erased women, unherd.com, 27.12.2022

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