SPALTE1-HEFT-BILD-TITLE
SPALTE1-HEFT-TITEL
Heft SPALTE1-HEFT-NUMMER / SPALTE1-HEFT-JAHRESZEIT
Abonnieren / Bestellen

Der Krieg gegen die Bürger

Die Bahamas verachtet den Feminismus in fast allen seinen Ausformungen, weil unter diesem Vorzeichen seit Jahrzehnten schimpflichster Verrat an der Sache geübt wird. Die Auslieferung "migrantischer", "schwarzer", "entkolonialiserter" Frauen und Mädchen an die Herren des jeweiligen Ganglands vollzieht sich unter dem beifälligem Diskursgeschwätz der dafür zuständigen "schwarzen" Expertinnen, die das europäische und amerikanische Feuilleton immer dann bereichern, wenn im Namen des Antirassismus furchtbare Untaten kleinzureden sind. Das war Ende 2005 ähnlich wie jetzt im Sommer 2023: Der Krieg der Vorstadt-Männer gegen die Republik ist zugleich immer auch der Krieg gegen die Frauen, insbesondere jene, die aus dem gleichen Milieu stammen. Das ist eine der Erkenntnisse der Bahamas vom Jahreswechsel 2005/2006 (Ausgabe Nr. 49), die wir jetzt aus gegebenem Anlass online zugänglich machen.

Die Redaktion ist keineswegs der Ansicht, dass damals schon alles gesagt worden sei und wir heute lediglich eine Reprise erleben. Dagegen spricht schon die erhebliche Eskalation der Gewalt in diesem Sommer, die immer unverhohlener auf Mord ausgeht. Vor allem die Routiniertheit beim publizistischen Ungeschehenmachen eines in die Fläche gehenden Krieges gegen die Bürger und die Untergangssehnsucht wieder links gewordener Staatskritiker, die den gar nicht besonders linken aber republikanischen Franzosen unterschiedlicher Herkunft ihren Wunsch nach Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit durch den Staat verargen, verheißt nichts Gutes für alle Freunde der bürgerlichen Freiheit.

Der Krieg der Vorstädte gegen die Frauen

Über die „Unruhen“ in den Banlieues vom Herbst

Short Cuts aus dem antirepublikanischen Befreiungskrieg: „Plötzlich sind Schüsse zu hören, lautes Geschrei. Eine Gruppe von zehn Zivilpolizisten zieht sich langsam, jeder mit gezogener Waffe auf die Menge zielend, aus dem Gelände der Cité de l’Europe zurück. Sie benützen Flash-Balls: Pistolen mit Gummigeschossen, die einen kräftigen Mann bewußtlos niederstrecken können.

Ein Halbstarker wird in Handschellen abgeführt. Ein bulliger Kerl brüllt auf den Polizeioffizier ein, droht, gestikuliert, schimpft. Es ist der große Bruder. Zusammengelaufene Jugendliche sind in Stellung gegangen, nähern sich gefährlich. Der Offizier brüllt einen Fotografen an: ,Wenn Sie nicht wären, würde die verdammte Banlieue nicht brennen. Gestern in Trembley haben sie eine Schule angesteckt nur wegen der Kamera.‘ Die Polizeikolonne braust davon. Jetzt setzt allgemeines Kriegsgeheul ein. Eine afrikanische Mama schwenkt zwei Gummigeschosse und schreit: ‚Sie töten unsere Kinder‘. Süße Milchbärte im Stimmbruch bauen sich breitbeinig vor den Pressevertretern auf und erklären, heute Nacht werde es aber ganz hart abgehen. Sie hätten jetzt zwei Tage lang still gehalten, aber man sehe ja, daß die Polizei an der Gewalt schuld sei. Ablenkung entsteht kurz, als zwei schwarze Jugendliche den Fotografen verprügeln wollen, weil der ein Bild von ihrer Mutter machte. Die forderte ihn zwar zum Fotografieren auf, damit man die Gummigeschosse sieht, aber wer hier wen fotografiert, das bestimmen die Jungs und sonst niemand. Schließlich soll ein Fünfjähriger die Gummigeschosse präsentieren. Dann sieht man gleich, daß hier auf kleine Kinder gezielt wird. (...)

Le Pont Blanc besteht aus den klassischen Sechziger-Jahre-Kästen des sozialen Wohnungsbaus. Halb ins Siedlungsgelände integriert, steht eine riesige Textilfabrik, gut 100 auf 20 Meter. Besser gesagt: da stand sie einmal. Freitagnacht wurde sie angezündet, zurückblieb ein stinkendes Trümmerfeld aus verbogenen Stahlträgern und verkohlten Stoffballen. Man könnte glauben, eine Cruise Missile habe eingeschlagen. Die meisten Anwohner sagen bloß: Die Jugendlichen müssen ihre Frustration zum Ausdruck bringen. Jamel und Malik finden auch nichts dabei, dass die Textilfabrik angezündet wurde. ‚Den Besitzer dieser Fabrik, den mag man hier nicht‘, fügen sie hinzu. Er sei nicht korrekt mit den Angestellten umgegangen, sagen sie. Er habe illegale Arbeiter ausgebeutet und den Coupains aus der Cité keine Arbeit gegeben. Der Besitzer habe nur bekommen, was er verdiene. ‚Er ist ein jef‘, sagt Malik. Jef ist der Slang-Ausdruck für Jude. ‚Nein, nein‘, korrigiert Jamel sofort. ‚Damit hat es nichts zu tun. Wir mögen ihn einfach nicht‘ (...)

So kommt es, dass ein kleiner Zwischenfall, bei dem eine Tränegasgranate neben einem muslimischen Gebetssaal explodierte, für die Erregung der Krawallmacher genauso wichtig geworden ist wie der Tod der beiden Jugendlichen in Clichy. Die Jungs in ihren Jogging-Hosen und Basketball-Kappen sehen meist nicht aus, als hätten sie schon häufig eine Moschee von innen gesehen. Doch wen immer man in den Cités fragt, weshalb es zur Gewalt gekommen sei, der erzählt den Zwischenfall mit der Moschee. Fast von selbst wird der Islam zu einem Identifikationspunkt für Jugendliche, welche sich eher durch nihilistische Orientierungslosigkeit als durch religiösen Fanatismus auszeichnen. (Daniel Binswanger, Weltwoche 45/2005)

Diese Bilder aus einer parallelen Welt, die einen Steinwurf hinter der deutsch-französischen Grenze in den Trabantenstädten rund um Strasbourg beginnt, sind so plastisch wie unbedingt erklärungsbedürftig: Was hat sich in den letzten 15 Jahren in den besonders auffälligen der rund 800 (nach Angaben der französischen Polizei) problematischen Vorstadt-Viertel verändert? (1) Um über Gemeinplätze, die nichts erklären, hinauszukommen, ist es unvermeidlich, den ewigen Dreiklang Repression, Rassismus, soziale Verwerfungen als alleinige Ursache nicht anzustimmen. Stattdessen muß der Blick in die Innenwelt von Wohnvierteln gelenkt werden, die zum größeren Teil noch vor wenigen Jahren zwar auch schon arm waren, aber weder überdurchschnittlich kriminell, noch weitgehend islamisiert oder ethnisiert. Zu beschreiben und zu analysieren ist ein Prozeß, der spätestens 1991 mit der ersten großen Randale in Trabantenstädten bei Lyon begonnen hat und seither mit zunehmender Vehemenz ganz Frankreich erfaßt. Ein Ergebnis dieser Untersuchung sei als These vorab benannt: Die Durchsetzung von Verhältnissen, wie Binswanger sie geschildert hat, die ökonomische Logik denen dieser Prozeß verpflichtet ist, die Solidarisier­ungen und Feindbestimmungen die damit einhergehen, folgen dem Prinzip der Landnahme. Sowohl territorial mit dem Ziel des ausschließlichen Zugriffs auf bestimmte Gebiete als auch hegemonial mit dem Anspruch der neuen Herren, die Bevölkerung in ihrem Sinne zuzurichten.

Stationen einer Landnahme

Das Umkippen einer armen, häßlichen und unterversorgten französischen Cité in ein Notstandsgebiet, in dem die persönliche Sicherheit des Einzelnen nicht mehr gewährleistet ist und die Ordnung der Republik ganz oder weitgehend außer Funktion gesetzt wird, beginnt regelmäßig an den belebten, von allen Bewohnern frequentierten Orten; am ehesten da, wo Einzelhandel und Stationen des öffentlichen Nahverkehrs beieinander liegen. Dem Normalbürger fällt zunächst auf, daß an solchen Plätzen Gruppen männlicher Jugendlicher, die zumeist aus Migrantenfamilien stammen, sich regelmäßig versammeln und Passanten provozieren und einschüchtern. Das reicht von verbalen und gestischen Beleidigungen oder der Präsentation von Gewalt durch die Vorführung von Kampfspielen über Drohungen und kleineren, oft nur angedeuteten Handgreiflichkeiten bis hin zur Hinterlassung bleibender Spuren wie eingeworfener Fensterscheiben oder abgebrannter Autos. Die einzelnen Bürger sind gegenüber diesen Jugendlichen machtlos, weil sie im Konfrontationsfall allein sind und auch Zeugen des Geschehens mangels entsprechender Bewaffnung oder wenigstens Trainings als wirksame Helfer nicht in Betracht kommen. Sozialarbeiter oder sogenannte Polizeihelfer, die versuchen einzugreifen, sind die ersten, die mit Drohungen überhäuft werden, deren Folgen sie – soweit sie nicht im Viertel leben und anerkannt sind – auch handfest zu spüren bekommen. (2) Die Polizei besetzt die zahlreichen und wechselnden Versammlungsorte nicht dauerhaft und zu Verhaftungen kommt es nicht, weil bei Anwesenheit der Polizei sich nichts strafrechtlich Relevantes ereignet und Platzverweise wenig erfolgreich sind.

Im nächsten Eskalationsschritt wird das Verhalten der auf den öffentlichen Plätzen herumhängenden Jugendlichen offen kriminell. Da sind zunächst in Gruppen begangene Raubüberfälle auf schwächere Passanten, zum Beispiel alte Frauen, denen die Handtaschen entrissen, oder nicht dazugehörige Jugendliche, denen Handy oder MP3-Player abgenommen werden. Die dabei zur Anwendung kommende physische Gewalt nimmt für die Opfer immer häufiger lebensbedrohliche Formen an. Mit der Intensivierung von Kriminalität und Brutalität verdichtet sich auch die Organisationsstruktur der zunächst losen Gruppen zu regelrecht organisiert agierenden Banden. Zunehmend kommt es zu Wohnungseinbrüchen und Raubüberfällen, bei denen die Bandenmitglieder einfach in Wohnungen eindringen, die Bewohner bedrohen und mitnehmen, was sie für wertvoll halten. Die Überfallenen werden regelmäßig so sehr eingeschüchtert, daß immer weniger von ihnen die Straftaten zur Anzeige bringen. Die Folge ist ein Gefühl des Ausgeliefertseins besonders bei älteren Leuten und der tiefen Verbitterung über den Staat, von dem sie sich im Stich gelassen fühlen. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, gibt es keine Versuche der Normalbürger, sich individuell oder organisiert, etwa in Form von Bürgermilizen, zur Wehr zu setzen. (3) Auffällig ist darüber hinaus, daß es in den Problembezirken auch nicht zu sogenannten Protestwahlen (etwa des Front National) seitens der „weißen“ Minderheit kommt, sondern überdurchschnittlich häufig Wahlabstinenz geübt wird. Unter den von der Gewalt betroffenen Migranten, die alle französische Staatsbürger sind, mischt sich häufig die Wut über die erlittene Gewalt mit der Enttäuschung über ihre prekäre Lage und macht sich in völlig verrückt wirkenden Artikulationen einer Staatsfeindlichkeit Luft, die bis hin zur Solidarisierung mit den eigenen Peinigern führen kann. (4) Das ist einer der Gründe, warum viele Migranten in den Vorstädten, die niemals gegen das Gesetz verstoßen haben, Sarkozys Beschimpfung der Gewalttäter als Gesindel, auf sich beziehen.

Die Schädigung von Privatpersonen wird von gezielten Angriffen auf Vertreter des Staates sekundiert. Zumeist trifft es nicht die Polizisten, die schließlich effektiv zurückschlagen würden, sondern unbewaffnete Repräsentanten der öffentlichen Ordnung – das reicht vom Sozialarbeiter, der seinen Beruf ernst nimmt, über den Hausmeister einer kommunalen Wohnanlage, den Angestellten einer privaten Sicherheitsfirma, der einen Supermarkt schützen soll, und den Feuerwehrmann bis hin zum Busfahrer. Die in vorwurfsvollem Ton vorgebrachte Frage, warum in bestimmte Problemzonen nachts häufig kein Linienbus mehr fahre, ist damit beantwortet. Die Fahrer haben Angst und die öffentlichen Busunternehmen schränken mit Blick auf ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Angestellten den Fahrplan ein.

Das Gewaltmonopol des Staates außer Funktion zu setzen, die Voraussetzung jeder Landnahme, gelingt nur ausnahms­weise in der offenen Konfrontation mit der bewaffneten Staatsmacht. Angriffe auf staatliche oder staatsnahe Infrastruktur und der erfolgreich angetretene öffentliche Beweis, daß der Staat Sicherheit und Eigentum der Bürger nicht schützen kann, sind da effektiver: Sie schaffen eine Stimmung der Verunsicherung und ein Machtvakuum, das von den selbsternannten Vertretern einer neuen, informellen Ordnung ausgefüllt wird. Was sich im gezielten Angriff auf Feuerwehrleute oder Busfahrer bereits abzeichnet, kommt immer häufiger in größeren öffentlichen Ausschreitungen zum Ausdruck, den sogenannten Jugendriots, von denen die vom Oktober und November 2005 lediglich die größten und vor allem flächendeckendsten in einer schier endlosen Reihe waren. Kleine, zumeist willkürlich aufgegriffene Anlässe sind der Grund für größere Ausschreitungen, die von den Akteuren genauso wie von großen Teilen der Öffentlichkeit als spontane soziale Proteste oder Notwehrmaßnahmen gegen Polizeiwillkür verklärt werden. Der Tod jugendlicher Autodiebe, die bei Verfolgungsjagden mit der Polizei die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlieren und verunglücken, wurde schon mehrfach als Anlaß für Randale benutzt, die binnen kürzester Zeit auf Nachbarviertel übergriff. Die Täter sind regelmäßig die selben, die ihre Laufbahn als Pöbler an der Metrostation begonnen haben, ergänzt um bis dahin unauffällige Jugendliche, die erstmals – in der Überzeugung für eine gerechte Sache zu kämpfen – sich als Brandstifter versuchen oder als Mob die Polizei attackieren.

Es genügen wenige, zufällig vorbeigekommene und ihr Handy nutzende Jugendliche, um wie auf Kommando Hunderte, manchmal Tausende Streetfighter in Stellung zu bringen. Das Prinzip ist das des Lauffeuers, das Mittel die neuen Kommunikationstechniken und das Motiv ein offensichtlich einigendes Bedürfnis, bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Repräsentanten der Republik zu zeigen, wie sehr man sie haßt.

Die beiden Kreise der Hölle

Normalerweise stilisiert man Jugendliche, wie die beiden im Oktober 2005 im Umspannwerk von Clichy-sous-Bois zu Tode gekommenen, zu Märtyrern, um einen Riot vom Zaun zu brechen. Läßt sich beim bösesten Willen kein Märtyrer erfinden und kein Angriff des ungläubigen Staats auf den Islam herbeifabulieren, tun es auch Polizeiaktionen, die regelmäßig als rassistische Angriffe dargestellt werden (5). Rassismus- und Faschismusvorwürfe hagelt es vor allem anläßlich solcher Polizeieinsätze, die sich gegen die in den Problemzonen extrem verbreitete kriminelle Schattenwirtschaft richten, besonders gegen Drogenhandel und Hehlerei. Im Zusammenhang mit dergleichen Zugriffen brechen Unruhen auch in solchen Quartieren aus, in denen die Jugendgangs ausdrücklich nicht das Sagen haben. In diesen Vierteln liegt die Macht in den Händen von professionellen Banden, die sich aus den älteren, längst unter das Erwachsenenstrafrecht fallenden Brüdern der Krawallkids zusammensetzen, die, solange die Geschäfte ruhig laufen, keinen überflüssigen Ärger mit der Polizei wollen und schon gar kein Interesse daran haben, daß ihre eigenen Autos brennen. Im Falle von die kriminelle Existenz bedrohenden Razzien, ist es ihnen aber möglich, den Aufstand der kleineren Brüder zu inszenieren, sich selbst an die Spitze zu stellen und so der Staatsmacht das Sicherheitsrisiko zu demonstrieren, das jeder Eingriff in ihre kriminelle Schattenwirtschaft bedeutet. Straff organisierte Banden unterbrechen dabei manchmal die Stromzufuhr für ein ganzes Viertel oder postieren sich auf Hausdächern, von wo aus sie die Polizeieinheiten mit Gullydeckeln und Betonplatten bewerfen. Das Hoheitsgebiet der älteren Brüder ist der erste Kreis der Hölle.

Die tägliche Gewalt wie das Abbrennen von Autos oder das Abzocken von Passanten findet in aller Regel im zweiten und weitaus größeren Kreis der Hölle statt: Dort, wo die Banden zwar aktiv, aber nur lose organisiert und nur teilweise in der Bevölkerung verankert sind, und wo noch ein gewisses Maß von ethnischer, sozialer und religiöser Durchmischung herrscht. Hier haben die älteren Brüder kein Interesse an Ruhe und Ordnung, im Gegenteil: Hier ist das Terrain noch zu bereinigen, hier ist die Nachkriegsordnung, wie sie im ersten Kreis herrscht, noch nicht ganz durchgesetzt, hier ist das Wirkungsfeld der minderjährigen Brüder.

Zur unmittelbar kriminellen Schattenwirtschaft gesellt sich eine der Sache nach legale, aber häufig gesetzwidrig betriebene Ökonomie, die im „befreiten“ ersten Kreis vollständig durchgesetzt ist und im umkämpften zweiten zunehmend das Bild bestimmt. Das sind vor allem Gastronomie und Handwerk, die auf Schwarzarbeit beruhen, und der Handel mit nicht deklarierter Ware. Die Verelendung vieler Trabantenstädte in Folge der großen Rationalisierungswellen in der französischen Industrie seit den mittleren 80er Jahren führte zunächst zur Liquidierung oder Abwanderung des ortsansässigen von „Weißen“ betriebenen Einzelhandels, aber auch der Filialen von Supermarktketten, Drogeriemärkten etc. Damit einher ging ein enormer Verfall der Grundstückspreise bzw. Gewerbemieten, so daß manche der Geschäfte von anderen einheimischen, diesmal in der Regel maghrebinisch-stämmigen Betreibern übernommen werden konnten. Dieser Prozeß wurde und wird forciert durch den zum Teil systematischen Bandenterror gegen Einzelhändler weißer Herkunft, aber auch gegen Maghrebiner, die sich den Banden nicht unterwerfen wollen. Einige Einzelhändler konnten den Druck dadurch auffangen, daß sie gezielt Leute aus dem Viertel einstellten, mit scheinbar überzeugendem Erfolg: Personal und Täter kennen sich, die Straftaten gingen merklich zurück. Allerdings: „Die Grenzen zu Schutzgeldmaßnahmen sind in einzelnen Vierteln fließend.“ Wer warum zum „jef“ erklärt wird, dessen Betrieb abzufackeln sei, bestimmt sich, soweit der betreffende nicht wirklich Jude ist, an seiner mangelnden Bereitschaft zu kooperieren.

Der Haß auf die staatliche Autorität und mehr noch der vielfach kriminelle Charakter der ethnischen Ökonomie haben längst dazu geführt, daß man geschäftliche Streitigkeiten intern regelt und Respektspersonen aus der jeweils eigenen Community hinzuzieht. Das sind besonders bei der türkischen Minderheit Mullahs, bei vielen Maghrebinern Chefs der Viertel, sogenannte „Chibanis“, oder ein „Rat der Weisen“ bei Schwarzafrikanern. So sehr das Territorialprinzip die innere Verfassung der von der staatlichen Ordnung weitgehend „befreiten“ Zonen dominiert, also der Kumpan immer auch ein Nachbar ist, so unübersehbar ist, daß für die Jugendbanden das gleiche gilt wie für die rackets der älteren Brüder oder die Respektspersonen: Sie sind fast ausschließlich moslemischer Herkunft und legen ihren Handlungen, Entscheidungen und Begründungen Gesichtspunkte aus einer die Zersplitterung überwölbenden, allgemein akzeptierten Binnenmoral zugrunde: Es ist die des Islam. So wie die Scharia bereits vor 1000 Jahren eine nach außen auf Raub, Eroberung und Versklavung beruhende Ökonomie nach innen im Sinne des Interessenausgleichs zwischen Clans und der drakonischen Abstrafung lobbyfreier Gesetzesbrecher regelte, vermögen die konkurrierenden Banden in den Cités untereinander bis jetzt meistens zu einem unblutigen Ausgleich zu kommen (6). Ohne den einigenden äußeren Feind, den Willen zur weiteren Landnahme und den Überlegenheitsdünkel, der sich im Gangsta-Rap genauso äußert wie in frommen Verhaltensmaßregeln aus der Moschee, würden die Ehrengerichte weit weniger effizient arbeiten. Solange man aber noch außerhalb der befreiten und aufgeteilten Zonen auf Beute gehen kann, wie bei den Überfällen auf eine Studentendemonstration im März 2005 durch migrantische Jugendbanden in der Pariser Innenstadt oder jüngst dem Überfall auf einen Zug, dürfte für die relative Ruhe zwischen den Banden gesorgt sein. Der Krieg aller gegen alle im Gangland ist für die Zukunft dennoch nicht auszuschließen.

Nicht nur die Landnahme in den Problemvierteln und gelegentliche Beutezüge nach draußen festigen die befreiten Zonen, sondern auch der Islam als common sense. Dem Druck der Gewalttäter sind viele, die sich mit der Herrschaft der Banden nicht abfinden wollten und es sich leisten konnten mit der Abwanderung in andere, dem Gesetz der Republik noch folgende Viertel begegnet: Nicht-Moslems ebenso wie laizistische Maghrebiner. In die durch ihren Wegzug frei gewordenen Wohnungen ziehen vorwiegend schwarzafrikanische, meist aus den islamischen Ländern Senegal und Mali stammende Migranten ein. Sie setzen sich in der von ansässigen Maghrebinern und zu einem kleinen Teil auch von Türken geprägten Bandenwelt erstaunlich schnell durch, nicht zuletzt wegen des für Aufsteiger typischen besonderen Maßes an Skrupellosigkeit, aber auch der clangebundenen Selbstorganisation und des Bezugs auf den Islam, den sie als kulturelle Wurzel für sich genauso reklamieren wie ihre Konkurrenten. Viele Jugendgangs sind inzwischen ganz in den Händen dieser Zuwanderer.

Systematische Entrechtung der Frauen

Organisierte Kriminalität, Ethnisierung durch Vertreibung und die Kapitulation der öffentlichen Ordnung vermögen nicht hinreichend zu erklären, was die Bandengesellschaft im inneren Kreis der Hölle zusammenhält und was im zweiten umkämpften Kreis durchgesetzt werden soll. Auch gibt die Anwendung der Scharia als Ersatz für den Code Civil und den Code Penal bei Konflikten innerhalb der Bandenwelt keine ausreichende Aufklärung über die innere Verfassung einer scheinbar widerspruchsfreien Gesellschaft. In den letzten drei Jahren sind einige zusätzliche Aspekte der neuen Ordnung ins Blickfeld der kritischen Beobachter geraten, die in den Berichten der französischen Behörden aber auch der Medien bis 2001 noch eine untergeordnete Rolle spielten. Da ist vor allem die dezidiert antisemitische und rassistische (anti-weiße) Ideologie, die anscheinend den moslemischen großen wie kleinen Brüdern ausnahmslos eignet. Doch auch das sind vorwiegend Erscheinungen von Ideologisierung der Gewalt, die wenig Auskunft über das Zusammenleben in längst so gut wie judenfreien Gebieten geben, in denen auch die Weißen nicht mehr als Dhimmis (Schutzbefohlene mit stark eingeschränkten Rechten) darstellen, also der islamischen Ökonomie und Moral Unterworfene.

Vom Stolz allein kann man aber nicht leben, die dezidiert illegale und die ethnisierte halblegale Ökonomie werfen für die Mehrheit wenig ab, und die Weißen, über die man sich erheben möchte, leben zumeist schon weit weg. Der eigentliche Kitt, der die gelebte bzw. noch zu verwirklichende Gegengesellschaft zusammenhält, Ausdruck der Ehre der jungen und gar nicht mehr so jungen Männer, ist die systematische Entrechtung der Frauen und Mädchen und ihre Unterwerfung unter die alleinige personale Herrschaft ihrer Brüder, Ehemänner und Söhne. Das äußert sich nicht nur darin, daß es in Frankreich mehr als 20.000 polygame Familien mit insgesamt über 300.000 Mitgliedern gibt, die vorwiegend aus Mali und Senegal stammen und zu einem hohen Prozentsatz in den Problembezirken leben. Weitaus alarmierender als die aus den Herkunftsstaaten importierte Polygamie ist die Knechtung der Frauen in der ursprünglich vorherrschend säkular orientierten algerischstämmigen Mehrheitsbevölkerung vieler Trabantenstädte, deren weibliche Hälfte seit Jahren von den militanten Jungmännern und den Herren der kriminellen Ökonomie vor die Wahl gestellt wird, entweder als Hure oder unters Gesetz der Scharia Gezwungene ihr Leben zu fristen. (7) Der Anteil der nicht gewalttätig agierenden, aber in den Problembezirken omnipräsenten Moscheevereine an der breiten Akzeptanz dieser Unterwerfung dürfte erheblich sein, besonders was die Zurichtung der Mädchen von Kindesbeinen an betrifft.

Als Huren gelten zunächst jene Mädchen und jungen Frauen, die Liebesbeziehungen mit Gangmitgliedern eingegangen sind. Diese Frauen müssen die bestürzende Erfahrung machen, daß es nicht möglich ist, mit einem moslemischen Jungmann aus der Bandenwelt eine exklusive Zweierbeziehung zu unterhalten. Was mög­licherweise romantisch beginnt, bricht sich jäh am Gesetz der Bande (keine Bande – auch die nichtislamische – kann es zulassen, daß ein Mitglied sein Privatleben über das Gemeinschaftsleben des Rackets stellt). In den klassischen kriminellen Rackets – etwa in den USA der Prohibitionszeit – wurde das Problem entweder durch den ausschließlichen Verkehr der Gangster mit professionellen Prostituierten geregelt und/oder durch zwar exklusive Formen des Liebeslebens bei vollkommener Abschottung und Nachordnung des Lebens mit der Geliebten oder Ehefrau gegenüber allen Angelegenheiten des Syndikats.

Die moslemischen Jungmännerrackets machen aus den Frauen, die sich einem der ihren aus Bewunderung oder Liebe hingegeben haben, das, was sie als unverheiratete, sexuell aktive Frauen nach den Geboten islamischer Moral sein müssen: Ehrlose, Huren, die wie Kriegsbeute auch den anderen Bandenmitgliedern zur Benutzung überlassen werden. Sie bleiben nicht nur von der Männerrunde ausgeschlossen, sondern gelten als für immer entehrt zum Zwecke der Besiegelung ihres endgültigen Ausschlusses aus einer umfassenderen Männergemeinschaft, die als Umma – als Glaubensgemeinschaft aller Moslems – weit über die rackets hinaus wirksam ist. Gleichzeitig bleiben sie der Allmacht der Bande über ihre Körper so lange unterworfen, wie noch Interesse daran besteht. Ihre Zukunft liegt, wenn es ihnen nicht gelingt, die Banlieues zu verlassen, sehr häufig tatsächlich in der Prostitution unter extrem demütigenden Umständen. (8)

Das furchtbare Schicksal dieser zu Huren erniedrigten Liebhaberinnen droht einem noch viel größeren Kreis junger, zumeist unverheirateter Frauen und nicht wenigen wird es auch wirklich angetan. Es sind jene, die sich den Gesetzen des islamisierten Kollektivs widersetzen und die neuen Herren nicht nur nicht anerkennen, sondern ihnen darüber hinaus zu verstehen geben, wie sehr sie sie verachten. Die öffentliche Präsenz dieser Frauen, die sich ähnlich freizügig kleiden wie die unglücklichen Gangsterbräute, die aber anders als jene alles daransetzen, ihren Weg außerhalb der sich islamisierenden Kieze zu machen, ist die stärkste Herausforderung für die kriminelle und bigotte Moral der jüngeren und älteren Brüder. Aber sie erregen auch das Mißfallen nicht weniger Frauen, die sich in die ihnen aufoktroyierte Rolle eingefügt haben und seither darüber wachen, daß keine Geschlechtsgenossin ungestraft nach dem Glück ausgreift. Die unabhängigen, westlich orientierten Frauen stellen die derzeit einzige echte Bedrohung der stillgelegten Gesellschaften dar, denn ihr sich abzeichnender Weggang, der einer für immer sein wird, dementiert das angemaßte Zugriffsrecht auf alle Frauen und Mädchen genauso wie die gottgegebene Ausweglosigkeit des islamischen Ghettos. Mehr noch: Ihr Weg stellt die Lebenslüge der Banlieue-Bewohner in Frage, wonach man als Indigener nur in einer nach den Regeln der eigenen kollektiven Identität eingerichteten Gegengesellschaft überleben könne. Die Schulabbrecherquote unter den Mädchen der Banlieues ist erheblich niedriger als bei den Jungs und die Arbeitslosigkeit nur halb so hoch. Viele junge Frauen, besonders solche, deren Eltern oder Großeltern aus dem Maghreb eingewandert sind, haben sich den Traum vom bürgerlichen Leben in einer ganz normalen, aufstiegsorientierten Zweierbeziehung bewahrt, auf sie übt das ihnen von der islamischen Moral und ihren Vollstreckern aus Moschee und Bande vorgesehene Leben keinen Reiz aus. Die Angriffe und Drohungen gegen diese Frauen, die immer wieder an ihnen verübten Gruppenvergewaltigungen (9), die über sie unter Drohungen und Gewalt verhängte islamische Kleiderordnung und die Anmaßung ihrer Brüder, jeden ihrer Schritte zu kontrollieren – all das hat in den letzten Jahren ungeheure Ausmaße angenommen. Das Männerkollektiv ahnt, daß die Verweigerung sehr vieler Mädchen und Frauen seiner Macht und Herrlichkeit das Rückgrat brechen könnte, und schlägt präventiv zu.

Ni putes ni soumises und die morsche Republik

Wer die Berichte des Inlandsgeheimdienst gelesen, in der französischen Presse unter Vermischtes oder Lokales nachgesehen oder schlicht seinen eigenen Augen getraut hatte, der hätte auch wissen können, was sich da nur scheinbar im Verborgenen abspielt. Aber in Frankreich geht die Angst um, man könnte wegen einer kritischen Anmerkung, einer bohrenden Nachfrage der Sympathie mit den Rechtsradikalen vom Front National oder anderen Rassisten geziehen werden. So wäre es womöglich noch heute, hätten sich nicht seit einigen Jahren die Verfolgten selber zu Wort gemeldet. In Frankreich waren es nicht etwa die Intellektuellen, von einer verschwindenden Minderheit abgesehen, sondern ausgerechnet Menschen, die aus eigener Erfahrung gute Gründe haben, den Versprechungen der Verfassung und der Solidarität der Mehrheitsgesellschaft skeptisch gegenüberzustehen, die in einer Situation äußerster persönlicher Bedrängnis darauf verfallen sind, als Enragées das universale republikanische Versprechen auf Emanzipation zum Bürger auch für sich von Staat und Mehrheitsgesellschaft nicht etwa zu erbetteln, sondern ganz selbstbewußt einzufordern. Der Appell aus den Vorstädten für die Durchsetzung menschenwürdiger Lebensbedingungen für alle, stammt nicht von den racailles, deren Schlachtruf „Sarkozy, dreckiger Jude“ war und auch nicht vom Innenminister selber, der vor Ort den Bewohnern der Banlieues Hilfe vor den Banden mit dem Hochdruckreiniger andiente und gleichzeitig den Moscheevereinen eine Sicherheitspartnerschaft anbot, sondern von denen, die aus ganz egoistischen Gründen weder mit der Mafia noch mit der Scharia ein Stillhalteabkommen abschließen können und schon deshalb einen scheinbaren Ladenhüter bemühten: Die Unteilbarkeit der Gesetze und die republikanische Freiheit und Gleichheit.

Seit im Jahr 2002 das Buch „Durch die Hölle der Gewalt“ von Samira Bellil und die Verbrennung von Sohane Benziane (10) die Republik erschütterte und im Februar 2003 das vielbeachtete Manifest von Ni putes ni soumises (Weder Huren noch Unterworfene) erschienen ist, scheint der gesellschaftliche Konsens zwar noch längst nicht gebrochen, aber immerhin angekratzt: der Konsens, der von den Problemvierteln direkt in die Agenturen der öffentlichen Meinung reicht, und der darin besteht, für jede ethnisch oder sozial begründete Schandtat Verständnis haben zu müssen. Mit der zentralen Forderung an alle Franzosen: „Schluß mit der Rechtfertigung unserer Unterdrückung im Namen eines Rechts auf Differenz und des Respekts für jene, die uns zwingen, uns zu unterwerfen“ haben Ni putes ni soumises den Konsens des politisch korrekten Wegschauens angegriffen. Mit der an ihre männlichen Nachbarn und Verwandten gestellten rhetorische Frage: „Wie wollt Ihr die Ungerechtigkeit, den Rassismus, den Ausschluß, den Mißerfolg in der Schule, das Gefängnis überwinden, wenn auch ihr uns unterdrückt, auch Ihr?“ haben sie zugleich Auskunft darüber gegeben, mit wem zusammen auf unabsehbare Zeit menschenwürdige Zustände nicht zu erkämpfen sind. Wie Ni putes ni soumises das Joch, unter das moslemische Jungmänner Frauen und Mädchen zwingen, abwerfen wollen, erscheint auf den ersten Blick genauso nostalgisch wie naiv: „Wir, die Frauen, die in den Vorstadtvierteln leben, Frauen jeder Herkunft, gläubig oder nicht, verbreiten diesen Appell für unsere Rechte auf Freiheit und auf Emanzipation. Sozial unterdrückt von einer Gesellschaft, die uns in Gettos einsperrt, in denen sich Elend und Ausschluß zusammenballen. Erstickt durch den Machismus der Männer unserer Viertel, die im Namen einer ‚Tradition‘ unsere elementaren Rechte mißachten. Wir bekräftigen hiermit gemeinsam als die ersten ‚Generalstände der Frauen der Viertel‘ unseren Willen, unsere Rechte, unsere Freiheit, unsere Weiblichkeit zu erobern. Wir weigern uns, vor die falsche Wahl gezwungen zu werden, entweder dem Zwang der Traditionen unterworfen zu werden oder unseren Körper der Marktgesellschaft zu verkaufen.“

Ausgehend von der Erkenntnis: „Wo die Männer leiden, schultern die Frauen diese Leiden“ fordern die Frauen von Ni putes ni soumises schon lange nicht mehr die Männer der Cités, sondern die französische Republik auf, endlich für die Problemviertel Verantwortung zu übernehmen und sich hinter die eigentlich Unterdrückten zu stellen. Während die Jungmänner nach dem Motto „Hurra, hurra die Schule brennt“ die zumeist schlechten Bildungseinrichtungen in den Trabantenstädten angreifen oder beschädigen, sich in erheblichen Maße dem Unterricht entziehen oder die Schulen mit Hilfe autochthoner oder linksradikaler Lehrer und Sozialarbeiter zu Institutionen des antikolonialen Widerstands gegen die Republik ummodeln, setzen die Frauen – wie vor hundert Jahren die antikatholischen Republikaner – auf die Erziehung des Menschengeschlechts an den Schulen der Republik. An oberster Stelle einer langen Liste von Forderungen in ihrem Manifest steht das „Recht auf Sexualerziehung für alle“, gefolgt von einem „Recht auf staatsbürgerliche Erziehung“, worunter das vollständige Erlernen der französischen Sprache genauso gefaßt ist wie allgemeine Rechtskunde, besonders im Hinblick auf die höchstpersönlichen Bürgerrechte. Ob mit „verpflichtende(n) Unterrichtseinheiten in den Bereichen Sexualerziehung, Staatsbürgerkunde und über die Gleichheit der Geschlechter sowie der besonderen Rechte der Mädchen bis hin zum Gymnasium“ die Gewalt wirklich gebrochen werden kann, ist mehr als fraglich. Denn daß der gebotene Kampf für die Herstellung der öffentlichen Sicherheit in den Problemvierteln von vornherein verloren ist, wenn dort nicht ein den unhintergehbaren individuellen Rechten verpflichteter Konsens hergestellt wird, der nur laizistisch und republikanisch sein kann, diese eigentlich selbstverständliche Voraussetzung jeder Emanzipation, nicht allein die der Frauen, ist in Frankreich gerade nicht Konsens.

2005 war das Jahr, in dem sich nicht nur die schwersten Straßenkrawalle ereigneten, sondern auf das auch ein wichtiges Jubiläum der Republik fiel: 100 Jahre Trennung von Kirche und Staat. Die Erinnerung an die Überwindung des Integrismus, der einigenden Ideologie einer sich abschottenden und mit zum Teil souveränen Rechten ausgestatten katholisch-antirepublikanischen Gegengesellschaft, scheint nur bei einer Minderheit die Bereitschaft erhöht zu haben, eine neue, bösartigere Spielart des alten Übels kritisch ins Visier zu nehmen: Den arabo-moslemischen Integrismus, wie er besonders in jenen Problemvierteln zu Hause ist, in denen die schlimmsten Gewaltausbrüche zu beobachten sind. War es 1905 eine dezidiert republikanische Koalition aus Liberalen und Sozialisten, die die alten Privilegien zu Fall brachten, so existiert seit nunmehr zwei Jahrzehnten eine Koalition aus dezidiert antirepublikanischen Liberalen und Sozialisten, ergänzt um sogenannte Linksradikale, die alles daransetzen, einem neuen Integrismus den Weg zu ebnen, der nicht nur die Gesetze der Republik ignoriert, sondern insbeson­dere die ihnen zugrundeliegende Idee der universellen Freiheit bekämpft.

Das Linkskartell

Anders als vor 100 Jahren, als einem längst morsch gewordenen katholischen Milieu die Sonderrechte nur noch per Dekret entzogen zu werden brauchten, steht heute eine anscheinend völlig morsche Republik taten- und ideenlos vor dem Aufstand eines scheinbar weit universaleren Bündnisses als es die Republik je repräsentieren konnte. Hielt jene es offiziell mit dem Weltbürgertum, aber praktisch mit den Machtinteressen des französischen Staats und einer eifersüchtig über den Erhalt ihrer Privilegien wachenden Bourgeoisie, orientiert sich die antirepublikanische Frente ideologisch am Aufstand der „Verdammten dieser Erde“ und praktisch an den weltweiten Erfolgen der islamischen Bandenkollektive. Übersetzt man Universalismus nur wörtlich und damit falsch mit „weltweiter Präsenz“ und „weltweiter Akzeptanz“, dann verschwindet der kleinliche Egoismus der französischen Nation samt ihrer gar nicht kleinlichen und völlig unzureichend eingelösten Ideale von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit vor der erstarkenden antiimperialistischen Internationale, die von Hugo Chavez’ Venezuela zu Achmadinedschads Iran und ganz folgerichtig vom Palästina der Intifada auch zum Aufstand der großen und kleinen Brüder in den französischen Vorstädten reicht. Das funktioniert aus dem einfachen Grund, weil die Maßstäbe, nach denen man der französischen Republik mit Recht Verrat an den eignen Grundsätzen vorrechnen kann, nicht auf die Weltbandenbewegung angewendet werden. Die verstrickt sich auch nicht in Widersprüche, vertritt sie doch keinen anderen Grundsatz als die Forderung nach unbedingtem Respekt vor dem Recht der jeweiligen autochthonen Herren, mit den ihnen Unterworfenen nach Gutdünken zu verfahren, mit anderen Worten: Dem Recht des Stärkeren.

Statt dem vernünftigen Gedanken von Ni putes ni soumises aufzugreifen und von der französischen Gesellschaft Solidarität mit den unterdrückten Frauen und vom Staat alle repressiven Maßnahmen einzufordern, die notwendig sind, um auch in den Vorstädten die Herrschaft des allgemeinen Gesetzes durchzusetzen, folgt ein Großteil der französischen Intelligenz und der Politiker letztlich dem Kalkül der Mullahs. Nicht nur, daß das juste milieu offen mit dem Islam kollaboriert, was Geistliche wie Abdelali Mamoun zurecht als Erfolg und Ermutigung verbuchen: „,Wir dagegen haben schon bei früheren Unruhen die Erfahrung gemacht, dass die Randalierer auf uns hören.‘ Zeitweise rief ihn der Unterpräfekt sogar um Hilfe, wenn Jugendliche sich zusammenrotteten. Öffentliches Aufsehen erregte der Imam kürzlich mit seiner Forderung, die Polizei bei Ausschreitungen durch religiöse Respektspersonen zu ersetzen.“ Bis in die Formulierung gleichen die Aussagen der meisten Vertreter der Republik denen der Anhänger der Scharia. Abdelali: „‚Viele Immigrantenkinder kennen nur noch die Polizei und Gerichte als staatliche Instanzen. Sie leben ohne jeden Vermittler in einer totalen republikanischen Leere, in der einzig die Erinnerung an die Religion noch hilft.’“ (Die Zeit, 17.11.2005). Die weit verbreitete Behauptung, polizeiliche Repression und frühe Kontakte mit den Gerichtsbehörden seien die einzigen Kontakte der Immigrantenkinder aus den Banlieues mit dem Staat ist schon deshalb gelogen, weil sie auf die Mädchen überhaupt nicht zutrifft. Doch auch in Bezug auf die Jungmänner leuchtet sie nur auf den ersten Blick ein. Ein kurzes Nachdenken müßte genügen, solche Aussagen als hochideologische zu erkennen: Sind da nicht Kindergärten und Schulen, Jugendclubs und Freizeitangebote, und darüber hinaus wenigstens offiziell der Vorsatz, den Jugendlichen einige Basisinformationen über die Gleichheit der Geschlechter, selbst über halbwegs freie Sexualität beizubringen? Viele Jungmänner kennen die repressive Seite des Staates deshalb am besten, weil sie mit seinen Bildungsangeboten genauso im Krieg leben wie mit der Polizei. Vom Imam oder vom linken Sozialarbeiter oder von den älteren Brüdern haben sie längst gelernt, sich dem, was die Republik ihre Bürger lehren will, so grundsätzlich zu widersetzen, daß schließlich nur noch jene „republikanische Leere“ zurückbleibt, über die der Mullah genauso klagt wie die „weiße“ linke Intelligenz.

Die scheinbar ganz kritisch als Staatsfeindlichkeit deklarierte tiefsitzende Verachtung der Republik durch ein die öffentliche Meinung dominierendes linkes Personal, das mehrheitlich unmittelbar vom Staat lebt (11), geht zu Lasten derjenigen, die handfest von praktizierenden Staatsfeinden gedemütigt und entrechtet werden. Am 5. März 2004 zum Beispiel stand die traditionelle Demonstration zum Weltfrauentag in Paris kurz vor der Spaltung, weil ein Teil der Demonstranten – darunter Ni Putes ni Soumises – sich sehr zum Verdruß des Linkskartells aus Trotzkisten, Parteikommunisten und Antirassisten aus dem Dunstkreis des MRAP (Mouvement contre le racisme et pour l’amitie entre les peuples) mit Transparenten ausdrücklich für das Kopftuchverbot an Schulen ausgesprochen hatte. Die offizielle Stimme des linken Frankreichs für deutsche Gesinnungsgenossen, der Pariser Volksempfänger Bernhard Schmid berichtete (12): „Den Hintergrund für die Streitigkeiten bildete das, am 3. März 2004 definitiv vom französischen Parlament in beiden Kammern verabschiedete, Kopftuch-Verbotsgesetz (...) und seine unterschiedliche Bewertung. Das hätte nicht unbedingt bei der Demonstration eine Rolle spielen müssen. Denn üblich war bisher, die Kritik an den realen gesellschaftlichen Mißständen in Frankreich bei der 8. März-Demo in den Mittelpunkt zu rücken: Bestehende Lohndifferenzen zwischen Männern und Frauen, schlechtere Arbeitsverhältnisse bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen, geringere Repräsentation von Frauen in manchen gesellschaftlichen Führungspositionen... Nicht üblich war, sich auf den Standpunkt der Regierung zu stellen und deren Prioritäten zu teilen.“ (labournet.de, 10.03.04) Üblich ist es ganz offensichtlich unter Freunden der sozialen Revolution und all den anderen Antikapitalisten sich beim Stichwort Feminismus ausschließlich solche gesellschaftlichen Mißstände vorzustellen, gegen die in Wirklichkeit nur ein paar hunderttausend gewerkschaftlich organisierte Postbeamtinnen, Krankenschwestern oder Lehrerinnen wirkungsvoll ankämpfen können. Unüblich ist es dagegen, die Lebensrealität von Millionen Frauen, denen man sich als Antirassist angeblich besonders verpflichtet weiß und die von einer Festanstellung im Staatssektor nur träumen können, auch nur zu thematisieren. Es ist nichts gegen die Forderungen nach gleichem Lohn und besseren Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen einzuwenden. Diese Mißstände als den einzig „realen“ Ausdruck von Frauenfeindlichkeit gegen den Ruf aus den Banlieues nach einem Leben ohne täglichen Tugendterror auszuspielen, zeugt von dem beispiellos zynischen Willen, mit den Herren der Problemviertel ein Bündnis gegen die Republik einzugehen, das notwendig zuerst die Frauen aus den Cités trifft. Das französische Linkskartell, das bedenkenlos und nicht ohne Erfolg mit dem angeblich so verhaßten Staat an einem Strang gezogen hat, als es um die Absicherung des riesigen Staatssektors gegen Privatisierungen und Deregulierungen ging, das Arbeitsgesetze durchzusetzen geholfen hat, die den Zugang der Franzosen unter 30 Jahren und ganz besonders den der häufig schlechter ausgebildeten Migranten unter ihnen zum regulären Arbeitsmarkt nahezu unmöglich machen, steht plötzlich wie ein Mann gegen die Frauen aus den Trabantenstädten auf, weil die sich unterstanden haben, die Republik zum Handeln aufzufordern. Ins Visier des autochthon-antikolonialistischen und des „weißen“ antirassistisch-linken Lagers mußten die Spielverderberinnen von Ni Putes ni soumises schon deshalb geraten, weil sie deren epochalen Verrat an ihrem angeblich ureigenen Anspruch, für die Emanzipation der Menschheit kämpfen zu wollen, benannt haben.

Bobos und racaille – Mob und Elite auf französisch

Im Frühjahr 2005 diskutierte das linke Frankreich über den „Marsch der Indigenen der Republik“, einer geschichtsrevisionistischen und antisemitischen Aktion linker Kreise aus den Banlieues, die von nicht wenigen antirassistischen Linksradikalen unterstützt wurde. Im Verlauf der Vorbereitungen hatten migrantische Antirassisten in aller Offenheit Feminismus und Laizismus als Ausdruck kolonialistischer Fremdbestimmung für ihre Klientel verworfen. Ihre „weißen“, linksradikalen Bündnispartner hatten ihre Not damit, dem einerseits zu widersprechen und anderer­seits das Bündnis nicht platzen zu lassen. Es ist ihnen dann schließlich doch gelungen – durch die Präsentation eines einigenden Feindbildes: „Sie [die „weißen“ linksradikalen Redner einer Podiumsdiskussion, jw] kritisierten keineswegs Laizismus und Feminismus als solche, sondern explizit nur jene Varianten, die – wie die vor zwei Jahren entstandene und mittlerweile zur klaren Satellitenorganisation der sozialdemokratischen Partei gewordene Frauenorganisation Ni Putes ni Soumises (weder Huren noch Unterwürfige) – sich vor allem positiv auf die republikanischen Ideale des Staates beziehen, die Mehrheitsgesellschaft weitgehend beschönigen und ihre Kritik fast allein auf Frauenfeindlichkeit bei Moslems und in Unterschichtsvierteln fokussieren. Sie wurden als ‚gutes Gewissen der weißen Mehrheit‘ bezeichnet, und dies nicht wirklich zu Unrecht.“ (Bernhard Schmid, trend onlinezeitung, 05/05) Antirepublikanischer Etatismus und antirepublikanische Staatsfeindlichkeit – zwei Seiten einer Medaille – sind ihrem Wesen nach den Zielen antikolonialistischer Bandenkollektive zutiefst verwandt. Den Staat als eine Art Erbhof der im öffentlichen Dienst Beschäftigten quasi unter Ausschluß des Arbeitsmarktes feudal-bandenförmig zu organisieren, ist ihnen recht, da sind sie Etatisten; wo der Staat aber als Recht setzende und durchsetzende Instanz für Freiheit, Gleichheit, Anonymität, Konkurrenz und Schutz vor willkürlicher Gewalt zu sorgen hätte, da sind sie Staatsfeinde. In der Konsequenz geht es sowohl dem Linkskartell als auch den ideologischen Vertretern der islamischen Gegengesellschaft um die Errichtung eines skrupellosen, von Bedenken und Gesetzen, Vermittlung und Schutzrechten befreiten unmittelbar demokratischen, sprich plebiszitären und damit totalen Herrschaft. Das ist jener Zustand, in dem die Trennung von Staat und Gesellschaft aufgehoben ist und die Einzelnen ohne jede Appellationsinstanz der Willkür ausgeliefert sind. Die etabliert sich mit Notwendigkeit als Regime der rackets, die dem Einzelnen prekären Schutz bei gleichzeitiger völliger Unterwerfung bieten. Nichts anderes meint die Verhöhnung der „republikanischen Ideale des Staates“.

Zusammengehalten wird diese Komplizenschaft mit den racailles gegen die Mädchen und Frauen durch eine für die Bobos (die Bourgeoisie-Bohème) typische Sehnsucht nach Solidarität und Gemeinschaft, wovon in den Banlieues unter Männern tatsächlich viel zu finden ist. Diese Faszination für ganz ursprüngliche Männerkumpaneien belegt, was die unmittelbare partikulare Gewalt, das Recht des Stärkeren, gerade bei denen auszulösen in der Lage ist, die angeblich für die Interessen der Schwachen und Unterdrückten zu kämpfen angetreten sind: Ihr zugrunde liegt der Wille nach einer Art Armageddon, der reinigenden Zerstörung der westlichen Zivilisation: „Die gesellschaftliche Sicht auf die Banlieues lässt den Blick wie durch ein Brennglas auf die sozialen Verwerfungserscheinungen fallen. Er sorgt aber nicht für Solidarisierungstendenzen, sondern das verbreitete Bild ruft – im Gegenteil – in größeren Teilen der übrigen Gesellschaft Furcht und Schrecken hervor. Statt des Verlangens nach einer universalisierbaren Antwort auf die ‚soziale Frage‘ dominiert besonders bei der Bevölkerung außerhalb der Trabantenstädte selbst (...) eher ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis.“ (Schmidt in www.unrast-verlag.de/unrast,3,0,246. html) Wer die Furcht und den Schrecken, den einige tausend Jungmänner mit der Unterstützung von zigtausenden älteren Brüdern und moslemischen Respektspersonen verbreiten, als Teil einer Antwort auf die ‚soziale Frage‘ nicht etwa heftig kritisiert, sondern schönredet und sich allen Ernstes „Solidarisierungstendenzen“ mit den Tätern wünscht, die über jedem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung zu stehen hätten, der ahnt wenigstens, was er da stammelt. Wer so redet, will den großen Tabubruch und ist mitverantwortlich für die Universalisierung des täglichen Unrechts in Clichy-sous-Bois und anderswo.

Es ist viel gespottet worden über die Albträume der Bürger vor Unruhen, Aufständen und der Revolution. Albträume, die sich in Frankreich zweimal, 1848 und noch viel furchtbarer 1871 in wahren Gemetzeln nicht etwa an den Bürgern, sondern an den besiegten Aufständischen entluden. Dennoch haben auch Revolutionäre Alpträume, die sich an einigen entscheidenden Punkten mit denen der Bürger merkwürdig decken. Ihnen liegt die Angst vor dem spontanen Ausbruch der Unterdrückten zugrunde, den furchtbaren Abrechnungen mit den wirklichen und vermeintlichen Unterdrückern und vor den unsinnigen Orgien der Zerstörung. Spontane Aufstände – das war einmal revolutionäres Allgemeingut – bringen regelmäßig die archaischen Ablagerungen in der kollektiven Seele zum Vorschein, jene ungute Mischung aus verdrängten Triebwünschen, den Erfahrungen erlebter Gewalt oder den Frustrationen nicht erfüllter Hoffnungen. Im haßerfüllten Schrei der vom Leben Enttäuschten ist immer auch die Bereitschaft zu völlig unkontrollierten Gewaltorgien enthalten.

Die Pariser Kommune hat bezeichnen­derweise nur wenig gewütet, noch weniger gemordet und vergewaltigt, also fast alles, was ihr die Bourgeoisie unterstellte, nicht getan. Ihre Anhänger waren – obwohl nur wenig organisiert – keineswegs spontan, sondern einem organisierenden Ziel verpflichtet. Gerade weil sie eine sozialistische französische Republik wollten und die Umverteilung des Reichtums zum Zwecke der Partizipation aller am nationalen Wohlstand, konfrontierten sie Plünderer und Brandschatzer mit einer ganz anderen, aber effektiven Polizei: einer losen Truppe aus Milizen und Nachbarn, die die individuelle Bereicherung oder die gewalttätige Befriedigung des Geschlechtstriebs nicht zulassen wollten, weil sie wußten, daß nur eine allgemeine Ordnung verhindert, was die in Versailles auf den Tag der Vergeltung harrende Bourgeoisie ihnen unterstellte: die Herrschaft des „Gesindels“ (Sarkozy) bzw. des „Lumpenproletariats“ (Marx), bzw. des „viehischen Rechts der Stärksten“ (Fadéla Amara, Mitbegründerin von Ni putes ni Soumises).

Die Pariser Kommunarden, die frühen Bolschewisten, die amerikanischen Wobblies oder die linke Offiziersjunta während der portugiesischen Nelkenrevolution hatten bei allen zum Teil fundamentalen Unterschieden eines gemeinsam: Sie hatten sich an den Versprechungen der bürgerlichen Republik orientiert, hinter die sie nicht zurückfallen wollten, denen sie vielmehr endlich zum Durchbruch auch in der Eigentumsfrage verhelfen wollten. Sie waren wie alle Revolutionäre, die den Namen verdienen: Republikaner und damit Universalisten, die gegen jede Form spontaner und damit immer auch personaler Herrschaft kämpften, weil sie das Faustrecht der Stärkeren verabscheuten.

Feindbestimmung

Die Freunde der spontanen Aufstände, die Unmenschen, die Solidarität mit Mordbrennern einfordern und scheinbar über die Ängste der Bürger witzeln, in Wirklichkeit aber die bedrohten Frauen verhöhnen, haben ihre Vorstellung vom Universalismus der Zerstörung längst auf den immer gleichen Punkt gebracht: „Der berüchtigte französische Quatschphilosoph Alain Finkielkraut, in den 70er Jahren Maoist und heute neoreaktionärer ,Neuer Philosoph‘, ging wohl am weitesten in Sachen ethnisierender Äußerungen. Seit längerem nie um groteske Vergleiche verlegen, hatte Finkielkraut im ganzseitigen Interview mit der konservativen Tageszeitung ,Le Figaro‘ unter anderem behauptet: ,Es handelt sich nicht um eine Revolte gegen den Rassismus der Republik, sondern um ein gigantisches antirepublikanisches Pogrom‘. Bisher hatte der Autor dieser Zeilen naiverweise angenommen, ein Pogrom bestehe in der Verfolgung von Menschen und nicht von Staaten.

In einem Interview mit der israelischen Tageszeitung ‚Haaretz‘ das in ihrer Ausgabe vom 18. November publiziert wurde, ging Finkielkraut noch weiter. (Finkielkraut gehört auch zu den führenden Rechtszionisten des – politisch bunt gefächerten – französischen Judentums und beispielsweise zu den kritiklosen Verteidigern des israelischen Mauerbaus quer durch das palästinensische Westjordanland. Er vertritt diese Position mit der antiuniversalistischen Begründung, er werde Maßnahmen der israelischen Regierung nicht kritisieren, ‚um den Unseren nicht in den Rücken zu fallen‘.)“ (Bernhard Schmid, trend onlinezeitung 12/05)

Zwar kann man Pogrome wirklich nicht gegen eine Republik ausagieren, die lediglich Form staatlicher Verfaßtheit einer bestimmten Gesellschaft auf einem bestimmten Territorium ist. Im Feinbild „jef“ ist allerdings längst das antirepublikanische Ressentiment, das zum Pogrom drängt, voll ausgebildet. Zunächst meint es scheinbar nur die Reichen an Geld und Einfluß. Da es aber solche auch unter den Herren der Banden gibt, denen man sich verpflichtet weiß, wird aus jef binnen kürzester Zeit der juif, also jener, der sich im Schutze eines verfaulten und korrupten Regimes, das er ausgehöhlt und unterwandert habe, unverdiente Vorteile zu Lasten der Volksmassen sichere. So sehr man den juif braucht, um den eigentlichen Störer der Ordnung zu bestimmen, so unverzichtbar ist der Agent der verjudeten Republik bei der Feindbestimmung vor Ort, wo fast kein Jude mehr wohnt. Jüdische Unmanieren lassen sich auch bei solchen finden, die auf den besonderen und schon daher prekären Schutz der Republik ähnlich angewiesen sind, wie jene: Allen voran natürlich die, die man als „das gute Gewissen der weißen Mehrheit“ schon deshalb verhöhnt, weil sie die dringend benötigten „Solidarisierungstendenzen“ mit dem antikolonialen Widerstand hintertreiben und schon deshalb als Huren hinlänglich beschrieben sind. Die ganz reale französische Republik jedoch, die in aller Unschuld mit den Feinden des „antiuniversalistischen“ Israel in herzlichem Einverständnis zusammenarbeitet, ist allerdings keineswegs hinreichender Schutz vor Pogromen. Man kann es daran erkennen, daß die deutschen und französischen Schmids dann, wenn das Verständnis mit ihren marodierenden Schäfchen auszubleiben droht, sich darauf verlassen können, den prominentesten französischen Kritiker des Volkssturms aus den Vorstädten mit dem Verweis auf seine jüdische Herkunft und seine Solidarität mit „den Seinen“, als abscheulichen Rechtszionisten abfertigen zu können, ohne daß ihnen wenigstens die Jungle World oder Konkret deswegen für immer heimleuchten würden. (13)

Justus Wertmüller (Bahamas 49/2005)

Anmerkungen:

1) Zur vertiefenden Lektüre sei auf den ausführlichen und systematischen Bericht „Vorstadtunruhen in französischen Großsstädten“ von Kriminaloberrat Bernd Belle und Polizeikommissar Wolfgang Nöske verwiesen (www.poli zei-newsletter.de/pdf/Vorstadtunruhen.pdf) Beeindruckend ist der ausführliche Fußnotenapparat, der auf Dutzende zum Teil im Internet verfügbare französische Detailquellen aus Presse, Literatur, Anhörungen, Fachtagungen und Behördenberichten – besonders solche des französischen Inlandgeheimdienstes DCRG – verweist, deren Auswertung den niederschmetternden Stoff für ein eigenes Buch ergeben würde.

2) Sozialarbeiter, die in der Cité leben, werden dann akzeptiert, wenn sie gleicher Herkunft und Kultur wie ihre Schäfchen sind und sich auch so verhalten: Also gerade nicht auf ihre Klientel gewaltpräventiv Einfluß nehmen, sondern jeden berechtigten Vorwurf mit antirassistischen Tiraden abzublocken versuchen. Die Polizeihelfer (Adjoints de Sécurité) gelten stets als Verräter und Feind, soweit sie sich wirklich der Aufrechterhaltung der Ordnung widmen. Auch hier gibt es Erfahrungen mit autochthonen Helfern, die sich der Polizei zusammen mit kriminellen Jugendlichen entgegengestellt haben. Der Posten der Mediatoren, die zwischen Polizei und den migrantischen Communities vermitteln sollten, sind inzwischen weitgehend wieder abgeschafft, weil es sich bei ihnen vielfach um ausgewiesene Gangster handelte.

3) Das gilt natürlich nicht durchgängig. In Emerainville und einigen anderen Problemvierteln gibt es nach Berichten des DCRG von den Mietern der Wohnblocks finanzierte Wachdienste und Bürgervereine, die versuchen, Druck auf die Behörden auszuüben, damit diese mehr Sicherheit gewährleisten. (Belle/Nöske a.a.O. S. 17)

4) Die Jungle World vom 16.11.2005 bringt solche Haltung durchaus repräsentativ auf den Punkt, wenn sie die dezidierte Frauenrechtlerin Mimouna Hadjam mit der unwahren und selbstzerstörerischen Behauptung, „jetzt erntet der Staat, was er gesät hat“, zitiert und damit schon den reißerischen Titel für das Interview mit einer gehetzten und leider der antirassistischen Ideologie völlig verfallenen Frau bereit hat. Daß es gerade nicht der Staat, sondern vorwiegend ärmliche migrantische Autobesitzer waren, die etwas geerntet haben, nämlich die Vernichtung ihres Eigentums, weil sie im falschen Viertel leben, fällt den vielen Mimouna Hadjams der Banlieues schon gar nicht mehr auf.

5) Die häufig häßlichen und demütigenden Praktiken der französischen Polizei vermögen nicht darüber hinweg zu täuschen, daß den Einsätzen in aller Regel nicht polizeiliche Willkür oder ein perfides staatliches Repressionsprogramm gegen Einwandererkinder zugrunde liegt, sondern der vielfach völlig mißratene Versuch, Straftaten zu verfolgen oder zu verhindern. Die Polizeikritiker gerade aus den Banlieues selber können sich häufig nicht entscheiden, ob sie die Einsätze für überzogen halten oder sich darüber beschweren wollen, daß man ihre Autos mit Absicht abbrennen läßt, weil aus rassistischen Gründen ihre Viertel nicht hinreichend vor Straßengewalt gesichert würden. Dem Ziel, die öffentliche Ordnung auch nachts aufrecht zu erhalten, diente jener Polizeikontrollpunkt in Vichy-sous-Bois, bei dessen versuchter Umgehung die drei Jugendlichen ins Umspannwerk flüchteten.

6) Das schließt regelrechte Vertreibungskampagnen gegen ortsfremde Dealer natürlich nicht aus.

7) Das gilt natürlich nicht in gleichem Maß für alle Problembezirke, beschreibt aber einen allgemeinen Trend, der in Hunderten Artikeln und Berichten dokumentiert ist. Als Quelle sei auf das Netz und das Stichwort Ni Putes ni Soumises verwiesen.

8) In ihrem Manifest vom 15. Februar 2003 fordert Ni putes ni soumises die Bekämpfung der Ursachen der Prostitution und nennt dabei die Polygamie, die mafiösen Strukturen und den abrupten Abbruch aller Bindungen durch die Familie bei Fehlverhalten eines jungen Mädchens.

9) „Häufige Strafe für solche widerspenstigen Mädchen sind im schlimmsten Fall sogenannte ‚tournantes‘, Gruppenvergewaltigungen. Samira Bellil hat als erste dieses Phänomen in ihrem Buch ‚Durch die Hölle der Gewalt‘ beschrieben. Dreimal war die junge Frau Opfer gemeinschaftlicher Vergewaltigungen geworden, bis sie – nach einer Psychotherapie – den Mut fand zum Schritt in die Öffentlichkeit. Samira Bellil war auch Schirmherrin von ‚Ni putes nis soumises‘, bis sie im vergangenen Jahr – mit erst 31 Jahren an Magenkrebs starb.“ (NZZ, 18.07.05)

10) „Sohane Benziane wurde zwei mal ermordet. Im Oktober 2002 wurde die 17jährige Moslemin von einem örtlichen Bandenführer im Müllraum eines Wohnblocks in der Pariser Vorstadt Vitry-sur-Seine mit Benzin übergossen und lebendig verbrannt. Ihr Verbrechen: Sie weigerte sich, ihm zu gehorchen. Als der angeklagte Killer von der Polizei zum Tatort zurückgebracht wurde, um das Verbrechen für sie nachzustellen, wurde er mit Jubelrufen von jungen Männern des Viertels begrüßt – eine symbolische zweite Tötung, die die französischen Staatsbürger schockierte.“ (TIME, 11.10.2004)

11) Die linke Intelligenz in Frankreich verdient ihr Geld vorzugsweise als Lehrer oder Sozialarbeiter, unkündbare Angestellte im staatlichen Sektor, bei den öffentlichen rechtlichen Medien oder im hochsubventionierten Kultursektor.

12) Schmid kann mit Recht für sich beanspruchen, als Dolmetscher der Ideologie des französischen Linkskartells zu gelten. Als Beleg seien die französischen Seiten von Indymedia, des MRAP, der trotzkistischen Partei LCR und von Le Monde diplomatique genannt. Weil er im November und Dezember zu deren immerwährender Schande als exklusiver Korrespondent über die Riots nicht nur für Schmuddelecken wie trend-online, oder Labournet, sondern eben für die Jungle World und Konkret wirkte, soll er hier pars pro toto ausführlich zu Wort kommen.

13) In Frankreich macht den Job des Schmid zum Beispiel der MRAP: „Deshalb gehe ich davon aus, daß die Strafanzeige gegen den Philosophen [gemeint ist Finkielkraut, jw] bewußt oder unbewußt von dem gleichen Gefühl geleitet ist, das die Randalierer sehr häufig zum Ausdruck bringen, daß nämlich ihre ‚islamische Ehre‘ verhöhnt worden sei. Der MRAP diskreditiert sich lediglich selber, wenn er den Eindruck erweckt, er fühle sich verpflichtet, als Rächer dieser Ehre aufzutreten, indem er einen so bedeutenden Denker an den Pranger stellt, der obendrein noch Jude ist. Es ist besser, sich den möglichen Ausbruch des Antisemitismus, für den diese Organisation (die ihn einst so beherzt bekämpfte) dann verantwortlich zeichnen würde, gar nicht erst vorzustellen. Das wäre die moralische Rechtfertigung für jene, die anläßlich der Unruhen nicht gezögert haben zu skandieren: ‚Sarkozy, dreckiger Jude! Sarkozy dreckiger Jude’.“ So Menahem Macina am 25.11.2005 in der Website der Union des Patrons et des Professionells Juifs de France: www.upif.org/article.

SPALTE3-AKTUELL-RUBRIK

SPALTE3-AKTUELL-DATUM


SPALTE3-AKTUELL-TITEL


SPALTE3-AKTUELL-TEXT

Frühere Aktivitäten sind im Aktuell-Archiv aufgeführt. Dort gibt es auch einige Audio-Aufnahmen.


Zum Aktuell-Archiv

Alle bisher erschienenen Ausgaben der Bahamas finden Sie im Heft-Archiv jeweils mit Inhaltsverzeichnis, Editorial und drei online lesbaren Artikeln.


Zum Heft-Archiv

Reprint Band 2

A1 Plakat

Für Israel

gegen die postkoloniale

Konterrevolution

Zum Shop

Reprint Bände

Reprint Bände

Nachdruck von

jeweils 10 Heften

Zum Shop

Buch von Justus Wertmüller

Verschwörungen

gegen das

Türkentum

218 Seiten, 15 €

Zum Shop

Bahamas Stofftasche 38 x 40 cm

Stofftasche

38 x 40 cm

Zum Shop

Ansteckbutton 25 mm

Ansteckbutton

25 mm

Zum Shop