I. Der türkische „Staat der Einheit“ und die Widerstände gegen ihn
Daran, dass die Aggression gegen das föderale Afrin auch eine Drohung mit dem Tod an alle lebensfreudigen Menschen in der Türkei ist, lässt der Führer keinen Zweifel. Auf einem Parteikongress rief Erdoğan jüngst ein weinendes Mädchen zu sich, gekleidet in Tarnuniform, mit einer türkischen Flagge in der Brusttasche: „Hier haben wir eine unserer Bordo Bereliler. Aber die Bordo Bereliler weinen nicht. Gendarmerie, Oberstleutnant, Bordo Bereliler… Maşallah die türkische Flagge ist auch in deiner Tasche. Wenn sie zur Märtyrerin wird, dann wird sie, so Allahs Wille, damit bedeckt werden. Sie ist für alles bereit. Nicht wahr.“ Bordo Bereliler, „diejenigen mit bordeauxroten Baretten“, sind eine türkische Spezialeinheit mit dem Slogan: „Mit uns kommt der Tod“.
Über die Konstellationen der türkischen Katastrophenpolitik in Syrien und was in Nordsyrien noch alles zu verlieren ist, spricht Danyal Casar, Autor von Cosmoproletarian Solidarity und der Sans Phrase.
II. Der Weg der Türkei von der säkularen Erziehungsdiktatur zur islamistischen Volksdemokratie
Jeder Appell an das Türkentum und damit auch jede Präsentation der blutroten Fahne mit der halsabschneiderischen weißen Sichel schweißt scheinbar miteinander unvereinbare Interessen zusammen und zwingt Laizisten mit Islamisten ins gemeinsame Boot, aus dem in der Krise, die dauernd neu beschworen wird, Privatheit, sexuelle Freiheit, religiöse Indifferenz und jeder Einwand gegen die rot-weiße Schicksalsgemeinschaft als den Untergang herbeiführender Ballast über Bord geworfen wird.
Von Justus Wertmüller erschien im XS-Verlag erschien unlängst sein Buch mit dem Titel „Verschwörungen gegen das Türkentum“.
III. Die türkische Apokalypse
Den Abgründen der türkischen Gegenwart kann sich heute niemand entziehen. Nach dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 und dem Verfassungsreferendum vom April 2017 ist die Türkei von heute durch Panik, Destruktivität und kollektiven Wahn charakterisiert, und ist dort gelandet, wo sie einst nie sein wollte: im “Sumpf des Nahen Ostens”, wie es im warnenden Tonfall bis vor nicht langer Zeit noch hieß. Der ausgerufene Ausnahmezustand ist inzwischen zum Normalzustand geworden, der das einstige laizistisch-kemalistische Erbe durch Dekrete und Verordnungen endgültig zu Grabe trägt, und jedwede Hoffnung auf bessere Verhältnisse, die es in der Türkei durchaus einmal gab, im Keim erstickt. Wer kann Erdogan und die Seinen in ihrem apokalyptischen Durchmarsch heute noch aufhalten?
Im Vortrag von Murat Yörük sollen die aktuellen Entwicklungen skizziert, die neusten Seilschaften bestimmt und geklärt werden, ob die Türkei bereits ein failed state ist.
Veranstaltet von der Aktion Zaungast.